Biologie

Insektenschwund umfassender als gedacht

Rückgang der Arthropoden in Deutschland betrifft alle Landschaften, Gruppen und Ebenen

Goldschrecke
Diese Goldschrecke ist nur eine der Insektenarten, die vom drastischen Schwund betroffen sind. © Martin Fellendorf/ Universität Ulm

Erschreckende Abnahme: Eine Langzeitstudie bestätigt den drastischen Rückgang der Insekten in Deutschland. Demnach sind im Grünland 78 Prozent weniger Arthropoden unterwegs als noch vor zehn Jahren, in Wäldern ist ihre Biomasse um gut 40 Prozent gesunken. Betroffen sind dabei Gliederfüßer aller Gruppen und aller Ebenen der Nahrungskette, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Auffallend auch: In der Nähe landwirtschaftlicher Flächen war der Schwund am größten.

Der Eindruck trügt leider nicht: In Deutschland gibt es heute deutlich weniger Insekten als früher. So zeigte im Jahr 2017 eine Langzeitstudie, dass die Biomasse fliegender Insekten in deutschen Naturschutzgebieten in den letzten 27 Jahren um drei Viertel abgenommen hat. Die Zahl der Schmetterlinge ist im Umfeld landwirtschaftlicher Flächen um zwei Drittel geschrumpft, wie 2019 eine weitere Studie ergab. Parallel dazu schwinden auch die Feldvögel.

Weise
Besonders vom Artenschwund betroffen sind Wiesen in der Nähe stark landwirtschaftlich genutzter Flächen. © Dr. Ulrike Garbe / Landesamt für Umwelt, Brandenburg

„Volkszählung“ mit einer Million Arthropoden

Doch unklar blieb bisher, ob der drastische Schwund alle Insektengruppen betrifft und wie er sich auf verschiedenen Landschaftsformen verteilt. „Bisherige Studien konzentrierten sich entweder ausschließlich auf die Biomasse, also das Gesamtgewicht aller Insekten, oder auf einzelne Arten oder Artengruppen“, erklärt Erstautor Sebastian Seibold von der Technischen Universität München. Dieses unvollständige Wissen erschwert es jedoch, die Ursachen einzugrenzen.

Für ihre Studie werteten Siebold und sein Team Daten zur Biomasse, Häufigkeit und Artenzahl der Arthropoden auf 150 verschiedenen Grünlandflächen und 140 Waldflächen in drei Regionen Deutschlands aus. Insgesamt wurden in dieser Langzeitstudie von 2008 bis 2017 mehr als eine Million Tiere aus 2.700 Arten erfasst.

Rückgang um bis zu 78 Prozent

Das erschreckende Ergebnis: Auf allen untersuchten Wald- und Wiesenflächen hat es einen drastischen Rückgang von Insekten, Spinnen und Co gegeben – egal ob gedüngte Weide, regelmäßig gemähte Wiese, Wirtschaftswald oder Wälder in Schutzgebieten. In Grünlandflächen sank die Biomasse der Arthropoden in den zehn Jahren um 67 Prozent, die Häufigkeit sogar um 78 Prozent, wie die Forscher berichten. Die Zahl der Arten verringerte sich um 34 Prozent.

„Dass solch ein Rückgang über nur ein Jahrzehnt festgestellt werden kann, haben wir nicht erwartet – das ist erschreckend, passt aber in das Bild, das immer mehr Studien zeichnen“, sagt Seibolds Kollege Wolfgang Weisser. Die Ergebnisse bestätigen nicht nur die früheren Resultate, sie belegen nun auch, dass dieser Rückgang sowohl die Biomasse, als auch die Häufigkeit und Artenzahl der Arthropoden betrifft.

Alle Ebenen der Nahrungskette

Besorgniserregend auch: „Dieser Rückgang ist konsistent in allen Ebenen der Nahrungskette zu beobachten – bei Herbivoren, Pilz- und Detritusfressern, Allesfressern und räuberischen Arthropoden“, berichten Siebold und sein Team. „Dass tatsächlich ein Großteil aller Insektengruppen betroffen ist, war bisher nicht klar.“ Ihre Studie zeigt zudem, dass der Insektenschwund weiterhin anhält – auch in den letzten Jahren hat sich dieser Trend trotz Versuchen, gegenzusteuern, nicht umgekehrt.

Für die Wälder sind die Rückgänge zwar etwas geringer, aber dennoch deutlich: Die Biomasse der Arthropoden ist dort seit 2008 um 41 Prozent gesunken, die Artenzahl um 36 Prozent. Der geringere Schwund liegt vor allem daran, dass die pflanzenfressenden Arthropoden im Wald noch die Stellung halten, ihre Menge nahm sogar leicht zu. Alle anderen Gruppen jedoch zeigen klare Rückgänge. „Das demonstriert, dass der Schwund nicht auf offene Habitate beschränkt ist“, so Seibold und seine Kollegen.

Landwirtschaft im Verdacht

Was aber ist der Grund? Einen Hinweis könnten die Unterschiede innerhalb der Grünlandflächen liefern: Am stärksten gingen demnach die Arthropoden auf den Wiesen und Weiden zurück, die von intensiv bewirtschaftetem Ackerland umgeben waren. Die Nutzung der Untersuchungsflächen selbst oder Veränderungen der Pflanzenzusammensetzung des Grünlands schienen dagegen wenig Einfluss zu haben, wie die Forscher berichten.

„Das deutet darauf hin, dass die Ursachen für den Rückgang der Arthropoden im Grünland mit der Landwirtschaft zusammenhängen“, konstatieren Seibold und seine Kollegen. Gestützt wird dies durch die Beobachtung, dass im Wald vor allem die Insektengruppen weniger geworden sind, die sehr mobil sind und weitere Strecken zurücklegen. Möglicherweise sind sie dadurch vermehrt in Kontakt mit angrenzenden Äckern gekommen.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen, dass wir einen Paradigmenwandel in der Landnutzung auf nationaler und internationaler Ebene brauchen, um dem Artenrückgang in offenen und bewaldeten Lebensräumen entgegenzuwirken“, betonen die Wissenschaftler. „Wir benötigen über Landschaften und Regionen hinweg koordinierte Maßnahmen.“ (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1684-3)

Quelle: Technische Universität München

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