Überraschende Erkenntnis: Mitochondrien sind offenbar nicht nur aus einer, sondern aus vielen bioelektrischen Einheiten aufgebaut. Diese arbeiten unabhängig voneinander, ähnlich wie die Batteriezellen in modernen Akkus für Elektroautos. Der Vorteil: Fällt ein Teil des Systems aus, kann der Rest trotzdem weiter funktionieren. Dies macht die Kraftwerke unserer Zellen unempfindlicher und leistungsfähiger, wie Forscher berichten.
Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zellen: Sie produzieren mit Adenosintriphosphat (ATP) den universellen Energieträger des Zellstoffwechsels und kommen in fast jeder Zelle in größerer Zahl vor. Bisher gingen Forscher davon aus, dass diese kleinen Organellen wie eine Haushaltsbatterie aufgebaut sind. Das bedeutet: Sie gewinnen und speichern Energie aus einer chemischen Reaktion in einer einzelnen Kammer.
Elektrisch unabhängig
Doch wie Dane Wolf von der University of California in Los Angeles und seine Kollegen nun herausgefunden haben, stimmt das offenbar nicht. Um mehr über die Energieerzeugung in den Mitochondrien in Erfahrung zu bringen, hatten sich die Wissenschaftler die zellulären Kraftwerke mithilfe hochauflösender Mikroskopie-Verfahren genauer angesehen. Dabei visualisierten sie die Innenmembran mit ihren „Cristae“ genannten Falten und beobachteten die Spannungsverteilung innerhalb der Organellen.
Das überraschende Ergebnis: „Die Bilder sagten uns, dass jede dieser Cristae elektrisch unabhängig ist und als autonome Batterie funktioniert“, berichtet Wolfs Kollege Orian Shirihai. „Eine Cristae kann beschädigt werden und nicht mehr funktionieren, während die anderen ihr Membranpotential beibehalten.“ Zuvor galt die Faltenstruktur im Inneren der Mitochondrien lediglich als Mittel, um die Oberfläche für die Energieumwandlung zu vergrößern.
Proteine als Isolatoren
Nach Ansicht der Forscher scheint damit klar, dass ein Mitochondrium nicht aus einer, sondern aus vielen autonom arbeitenden bioelektrischen Einheiten besteht. Diese Eigenschaft teilen die Kraftwerke der Zellen mit modernen Akkus für Elektrofahrzeuge, wie das Team erklärt. Auch in diese Energiespeicher werden typischerweise tausende kleine Batteriezellen parallel verbaut, um Energie sicher zu verwalten und einen schnellen Zugang zu sehr hohen Stromstärken zu ermöglichen. Ein solches Gesamtsystem kann auch dann weiter funktionieren, wenn einzelne Batteriezellen ausfallen.
In den Mitochondrien sorgen bestimmte Proteinkomplexe für diese vorteilhafte Eigenschaft. Sie trennen die einzelnen Cristae von ihren Nachbarn und wirken als elektrische Isolatoren. Diese Erkenntnis erklärt nun auch , warum Mitochondrien ohne diese Proteine empfindlicher auf Schäden reagieren, wie bei früheren Experimenten beobachtet. Denn dann wird das Mitochondrium zu einer einzigen Batterie, bei der bereits der Ausfall eines kleinen Teils das gesamte System beschädigt.
„Neues Verständnis“
„Unsere Entdeckung kann zu einem neuen Verständnis der Rolle der Mitochondrien bei Alterung, Diabetes, Krebs und anderen Erkrankungen führen“, sagt Mitautor Andreas Reichert von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Denn es ist allgemein akzeptiert, dass viele Erkrankungen mit schweren Störungen der Cristae-Struktur einhergehen.“ (The EMBO Journal, 2019; doi: 10.15252/embj.2018101056)
Quelle: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf