Galaktischer Rekord: Astronomen haben einen der schnellsten Sterne der Milchstraße entdeckt. Der Hyperschnellläufer S5-HVS1 fliegt mit mehr als 1.000 Kilometern pro Sekunde durch das All – zehnmal schneller als die meisten „normalen“ Sterne und doppelt so schnell wie alle bekannten Schnellläufer-Sterne. Noch wichtiger aber: Mit ihm konnten die Forscher erstmals die Herkunft eines solchen „Rasersterns“ eindeutig bestimmen.
Sie sind die „Raser“ der Milchstraße: Sogenannte Hyperschnellläufer haben ein so hohes Tempo, dass selbst die Schwerkraft unserer Galaxie sie nicht festhalten kann. Statt um ihr Zentrum zu kreisen, rasen diese Sterne mit 300 bis 1.000 Kilometern pro Sekunde ins All hinaus. Die meisten von ihnen sind Blaue Riesen, es gibt unter ihnen aber auch Doppelsterne, sonnenähnliche Sterne und sogar Fragmente Weißer Zwerge.
Rätsel um „Rasersterne“
Doch was hat diese „Rasersterne“ so enorm beschleunigt? Bisher konnten Astronomen darüber nur spekulieren, denn die meiste Hyperschnellläufer waren zu weit entfernt, um ihre Flugbahn präzise zurückverfolgen zu können. Als mögliche Ursachen gelten bislang bestimmte Supernovae, ein extragalaktischer Ursprung und – vor allem – ein Katapult-Effekt durch das zentrale Schwarze Loch unserer Milchstraße.
„Wir vermuten lange schon, dass Schwarze Löcher Sterne mit sehr hohen Geschwindigkeiten wegschleudern können“, erklärt Erstautor Sergey Koposov von der Carnegie Mellon University. „Aber leider konnten wir bisher nie einen eindeutigen Zusammenhang eines solchen Rasers mit dem galaktischen Zentrum nachweisen. Uns fehlte schlicht der ‚rauchende Colt‘.“ Deshalb haben Koposov und seine Kollegen noch einmal gezielt in den Daten des Gaia-Weltraumobservatoriums und den Aufnahmen des Anglo-Australian Telescope nach Hyperschnellläufern gesucht.
S5-HVS1: Hyperschnellläufer der Superlative
Mit Erfolg: Die Astronomen stießen auf den sonnenähnlichen Stern S5-HVS1, der nur rund 29.000 Lichtjahre von der Erde entfernt durch die Galaxie rast. Spektralanalysen enthüllten, dass dieser Hyperschnellläufer mit einem Tempo von 1.017 Kilometern pro Sekunde unterwegs ist – das ist zehnmal mehr als die meisten anderen Sterne der Milchstraße und fast doppelt so schnell wie die bisher bekannten Hyperschnellläufer.
„Die extreme Geschwindigkeit von S5-HVS1 macht ihn zu einem der schnellsten bekannten Sterne der Galaxie“, berichten die Forscher. „Entsprechend wichtig ist eine detaillierte Untersuchung seiner Flugbahn und seines Ursprungs.“ Dank der Gaia-Daten und mithilfe eines astrophysikalischen Modells gelang es den Astronomen tatsächlich, die Bahn des rund 2,4 Sonnenmassen schweren Hyperschnellläufers zurückzuverfolgen.
Aus seinem Doppelsystem ausgeschleudert
Das Ergebnis: S5-HVS1 scheint geradewegs aus dem Zentrum der Milchstraße zu kommen – aus der Zone, in der das supermassereiche Schwarze Loch Sagittarius A* sitzt. „Die Belege dafür sind fast eindeutig und weit stärker als für jeden anderen Hyperschnellläufer“, berichten Koposov und sein Team. „Wir schließen daher, dass S5-HVS1 aus dem galaktischen Zentrum ausgeschleudert wurde – er ist der erste Stern, für den wir dies nachweisen können.“
Den Analysen zufolge geschah dieses Ausschleudern vor rund 4,8 Millionen Jahren. Damals war S5-HVS1 höchstwahrscheinlich noch Teil eines Doppelsternsystems, das dem Einflussbereich von Sagittarius A* zu nahe kam. Als Folge wurde sein Begleitstern vom Schwarzen Loch eingefangen und S5-HVS1 wurde mit mehr als 1.800 Kilometern pro Sekunde aus seiner alten Bahn hinauskatapultiert. „Dies ist der erste klare Nachweis dieses sogenannten Hills-Mechanismus in Aktion“, sagt Koposovs Kollege Ting Li.
Warum ist er schneller als die anderen?
Doch der Nachweis dieses extremen Rasersterns und seines Ursprungs wirft auch neue Fragen auf. Denn bisher können die Astronomen nicht erklären, warum er so viel schneller ist als alle anderen aus der Gegend des galaktischen Zentrums kommenden Hyperschnellläufer. „Das wirft zwei Fragen auf: Werden alle Hyperschnellläufer durch den gleichen Mechanismus erzeugt? Und ist ihre Geschwindigkeitsverteilung durch die Zeit hindurch gleich geblieben?“, so die Astronomen.
Eine mögliche Erklärung für das ungewöhnlich hohe Tempo von S5-HVS1 wäre, dass dieser Stern bei einem ungewöhnlich starken Ausbruch des zentralen Schwarzen Lochs ausgeschleudert worden ist – beispielsweise dem Ereignis, das auch die Fermi-Blasen und andere Strukturen im Milchstraßenzentrum entstehen ließ. „Um diese Hypothesen zu testen, müssen wir aber noch mehr Hyperschnellläufer mit ähnlichen Flugdauern finden“, so die Forscher.
Denkbar wäre auch, dass es irgendwo im galaktischen Zentrum ein intermediäres Schwarzes Loch gibt, das den Stern hinauskatapultiert hat. Allerdings gibt es für die Existenz eines solchen Schwarzen Lochs bisher keinen Beleg, wie die Astronomen erklären.
Quer durch die Lokale Gruppe
Interessant auch: Im Gegensatz zu den meisten anderen Hyperschnellläufern ist S5-HVS1 kein kurzlebiger Blauer Riese, sondern deutlich masseärmer und damit auch langlebiger. Statt nur weniger hundert Millionen Jahre könnte er rund eine Milliarde Jahre alt werden. „Am Ende seines Lebens könnte dieser Stern demnach 6,5 Millionen Lichtjahre zurückgelegt haben und damit einen großen Teil der Lokalen Gruppe durchquert haben“, sagen Koposov und seine Kollegen.
Die Astronomen hoffen, dass künftige Daten unter anderem des Gaia-Satelliten dabei helfen werden, das Rätsel um S5-HVS1 und seinen Ursprung zu lösen. Denn bisher ist dieser „Raserstern“ ein echter Exot – selbst unter den Hyperschnellläufern. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2019; doi: 10.1093/mnras/stz3081)
Quelle: Carnegie Mellon University