Gruseliger Fund: Vor 2.100 Jahren wurden in Ecuador zwei Kleinkinder mit ungewöhnlichem Kopfschutz begraben: Ihr Schädel steckte in dem Schädel eines älteren Kindes – wie in einem knöchernen Helm. Eine solche Bestattungsweise ist weltweit bisher einzigartig. Warum diese Angehörigen der Guangala-Kultur damals auf diese Weise begraben wurden, ist jedoch rätselhaft – möglicherweise sollte der Knochenhelm die Seelen der Verstorbenen schützen.
Schädel spielten in vielen frühen Religionen und Kulturen eine wichtige Rolle, denn man sprach dem Kopf eine besondere Macht zu. Schon vor gut 10.000 Jahren huldigten Menschen im Steinzeitheiligtum von Göbekli Tepe einem Schädelkult, in Brasilien gab es vor 9.000 Jahren rituelle Enthauptungen und in Skandinavien haben Archäologen vor Kurzem eine steinzeitliche Grabstätte mit mehreren auf Pfähle gespießten Schädeln entdeckt. Selbst die Kelten balsamierten die Köpfe ihrer Feinde als Trophäen ein.
Schädel im Schädel
Doch nun haben Archäologen um Sara Juengst von der University of North Carolina in Charlotte Zeugnisse eines wohl einzigartigen Schädelrituals entdeckt. In Salango, einem Ort an der Küste Ecuadors, stießen sie auf zwei 2.100 Jahre alte Kindergräber mit überraschendem Inhalt: In jedem Grab lag das Skelett eines Kleinkinds, dessen Schädel im Inneren eines größeren Schädels steckte. „Die beiden Kinder waren mit einem ‚Helm‘ aus dem Schädel eines anderen Kindes bestattet“, berichten die Forscher.
Die knöchernen „Schädelhelme“ stammten im ersten Grab von einem vier bis zwölf Jahre alten Kind, im zweiten Grab von einem zwischen zwei und zwölf Jahre alten Kind. Der Schädel der toten Kleinkinder passte wegen des Größenunterschieds gerade knapp in das Innere der Schädelhöhle. Die Archäologen vermuten, dass die „Helme“ zur Zeit des Begräbnisses sogar noch von Fleisch umgeben waren – sonst wären die Kinderschädel stärker zerfallen.
Schutz der Seelen?
Nach Angaben von Juengst und ihren Kollegen sind diese Funde einzigartig: „Das ist der einzige bekannte Beleg für die Nutzung eines jugendlichen Schädels als Toten-Kopfschmuck – sowohl in Südamerika als auch weltweit“, sagen die Forscher. Warum diese Kinder mit solchen Schädelhelmen bestattet wurden, ist bisher rätselhaft. In benachbarten Kindergräbern fanden die Forscher hölzerne Figuren neben dem Kopf der Toten, aber keine Knochenhelme.
Eine mögliche Erklärung: Die Seelen der toten Kleinkinder sollten auch im Tod noch in besonderer Weise geschützt werden. „Dies könnte einen Versuch repräsentieren, den Schutz dieser ‚präsozialen und wilden‘ Seelen sicherzustellen“, so Juengst und ihr Team. Denkbar wäre auch, dass die äußeren Schädel Angehörigen oder sogar Ahnen der toten Kinder gehörten – künftige DNA-Analysen könnten dies klären.
Ritual zur Besänftigung eines Vulkans?
Denkbar wäre aber auch, dass die Kleinkinder und möglicherweise auch die Kinder, die die „Helme“ lieferten, im Rahmen von Ritualen geopfert worden sind. Den wie die Archäologen berichten, deuten Ascheablagerungen darauf hin, dass es in der Nähe dieser Grabstätte einen damals aktiven Vulkan gab. Dessen Ausbrüche könnten die Nahrungsversorgung des Guangala-Volks stark beeinträchtigt haben. Indizien dafür liefern Spuren von Mangelerscheinungen an den Knochen sowohl der Kleinkinder als auch der „Schädelhelme“.
Nach Ansicht der Forscher könnten die Guangala versucht haben, den Vulkan mit einem speziellen Totenritual zu besänftigen. „Die Behandlung der beiden Kinder war möglicherweise Teil eines größeren, komplexen Rituals, mit dem die Menschen auf die Umweltfolgen der Eruption reagierten“, erklären Juengst und ihre Kollegen. Ob die Kinder dabei geopfert wurden oder ob sie schon vorher an Hunger gestorben waren, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Um das Rätsel der Schädelhelme zu lösen, seien nun weitere Untersuchungen nötig, betonen die Forscher. (Latin American Antiquity, 2019; doi: 10.1017/laq.2019.7)
Quelle: Nature News, Smithsonian Magazine, Latin American Antiquity