Informatik

Was tun die Bots von Wikipedia?

Bestandsaufnahme enthüllt Eingriffe, Rechte und Entwicklung der Wikipedia-Algorithmen

Software
Gut 1.600 Webbots sind auf der Plattorm Wikipedia aktiv – aber was tun diese Algorithmen dort eigentlich? © monsitj/ iStock.com

Nützliche Bot-Armee: Gut 1.600 Webbots sind auf Wikipedia aktiv. Was diese lernfähigen Algorithmen tun und welche Rolle sie spielen, haben nun Forscher erstmals näher untersucht. Das Ergebnis: Insgesamt gehen zehn Prozent der Wikipedia-Aktivität auf Bots zurück. Allein die „Fixer-Bots“ haben schon mehr als 80 Millionen Editierungen der englischen Plattform durchgeführt. Interessant auch: Neue Autoren bleiben eher am Ball, wenn kein Mensch, sondern ein Bot sie einweist.

Webbots sind im Internet längst allgegenwärtig: Sie sammeln Daten, pflegen Webseiten und Online-Shops und editieren auch Inhalte. In den sozialen Medien werden Bots allerdings auch oft dazu eingesetzt, um Fake-News oder bestimmte Meinungen gezielt zu verbreiten. Bekannt ist zudem, dass lernfähige Algorithmen je nach Aufgabengebiet und Training sogar allzu menschliche Züge entwickeln können: Sie übernehmen Vorurteile und tragen sogar langanhaltende Fehden aus.

Wikipedia als ideales Testfeld

Welche Rolle Webbots bei der Online-Plattform Wikipedia spielen, haben nun Forscher des Stevens Institute of Technology in New Jersey näher untersucht. Wikipedia setzt rund 1.600 Bots ein, um das Online-Lexikon und alle damit verknüpften Seiten zu pflegen. Weil alle Bots und Bot-Aktionen dokumentiert und öffentlich zugänglich sind, konnten die Wissenschaftler mithilfe von automatisierten Analyseprogrammen auswerten, was die verschiedenen Bots auf Wikipedia tun und wie aktiv sie sind.

„Die KI verändert die Art, wie wir Wissen produzieren und Wikipedia ist der perfekte Ort, um das zu erforschen“, erklärt Jeffrey Nickerson. „Menschen und Bots bilden hier ein Ökosystem, in dem sie voneinander lernen und sich aneinander anpassen.“ Die gut 1.600 verschiedenen Wikipedia-Bots werden für ganz unterschiedliche Aufgaben eingesetzt, von der Reparatur alter Links über das Archivieren des Datenbestands bis zum Editieren von Inhalten oder dem Aufspüren inhaltlicher Lücken im Lexikon.

80 Millionen Editierungen

Die Auswertung ergab: Die Wikipedia-Bots nehmen neun verschiedene Rollen ein und haben 25 damit verknüpfte spezifische Funktionen. Insgesamt sind diese Bots für rund zehn Prozent der Aktivität auf der englischen Wikipedia verantwortlich, wie die Forscher berichten.

Den mit Abstand größten Anteil haben die 1.200 sogenannten Fixer-Bots. Sie haben zusammen mehr als 80 Millionen Editierungen durchgeführt, wie die Forscher berichten. „Diese Bots beseitigen Fehler in Artikelseiten, um die Information sauber und korrekt zu halten“, erklären Nickerson und sein Team. „Sie editieren Inhalte, reparieren Links und Dateien und passen auch die Parameter der Templates, Kategorien oder Infoboxen an.“ Klassische Aufgaben dieser Bots sind auch die Korrektur von Tippfehlern oder der Verweis auf noch fehlende Daten.

Am zweithäufigsten sind die Clerks und Tagger-Bots und ihre Änderungen. Ihre 40 bis 50 Millionen Editierungen beziehen sich aber weniger auf Inhalte als auf technische Gebiete wie Statusmeldungen, die Vergabe von Tags oder statistische Daten. Ähnliches gilt für die rund 30 Millionen Edits durch die für Links zuständigen Connector-Bots, wie die Forscher erklären. Die fünf restlichen Bot-Typen sind nur in geringer Stückzahl aktiv und haben zwischen einigen hunderttausend und 20 Millionen Aktionen durchgeführt.

Mehr Rechte als menschliche Bearbeiter

In vielen Aufgabenbereichen haben die Wikipedia-Bots sogar mehr Rechte als die menschlichen Bearbeiter, wie die Forscher feststellten. So fahnden neben Protector-Bots auch Wikipedia-Mitarbeiter nach Anzeichen für Vandalismus, Spam oder Regelverstöße. Im Schnitt haben die Bots dabei jedoch um zwei Stufen höhere Zugriffsrechte als die Menschen. Ähnliches gelte für die Fixer-Bots oder die Bots, die Tags für den Artikel- oder Userstatus vergeben.

„Das stimmt mit der Annahme überein, dass Bots in der Wikipedia-Gemeinschaft vor allem dazu dienen, Regeln durchzusetzen“, erklären Nickerson und seine Kollegen. „Die Gemeinschaft überträgt das ‚Recht zu herrschen‘ allmählich immer stärker auf die Bots.“

Kritik vom Bot wird besser angenommen

Interessant auch: Menschliche Autoren und Nutzer von Wikipedia scheinen oft sogar besser mit einem Bot als Gegenüber klarzukommen als mit einem menschlichen Wikipedia-Mitarbeiter. Dies zeigte sich bei der Analyse von 10.000 zufällig ausgewählten Neuzugängen. Typischerweise werden neue Autoren von speziellen Host-Bots oder von menschlichen Editoren eingewiesen und bekommen Feedback und Korrekturen ihrer ersten Einträge.

Überraschenderweise ergab ein Vergleich, dass die Autoren sogar positiver auf die Interaktion mit den Bots reagierten als mit menschlichen Editoren. Die von den Bots betreuten Neuzugänge sprangen seltener wieder ab und blieben der Plattform länger als Mitarbeiter erhalten. „Menschen haben offenbar kein Problem damit, von Bots kritisiert zu werden, solange diese höflich sind“, sagt Nickerson. „Wikipedias Transparenz in dieser Beziehung hilft den Menschen, Bots als legitime Mitglieder der Community zu akzeptieren.“

Immer mehr Multitasking-Bots

Eine weitere Frage ist der Grad der Spezialisierung der Bots: „Bewegen wir uns hin zu einer Welt mit nur noch einer Handvoll von Allzweck-Bots oder wird es Unmengen an hochspezialisierten Bots geben?“, sagt Nickerson. „Im Moment wissen wir dies noch nicht genau.“ Auf Wikipedia scheint der Trend jedoch im Laufe der Zeit eher zu weniger, aber dafür Multitasking-fähigen Bots zu gehen.

So hat der Protector-Bot im Laufe der Zeit mehr Funktionen übernommen: „Wenn er einen möglichen Vandalismus detektiert, macht er dessen Änderungen rückgängig und korrigiert so die Fehler im Artikel, dann sendet er eine Meldung an den zuständigen Editor“, so die Forscher. „Damit dient dieser Bot inzwischen als Fixer, Protector und Notifier in einem.“

Vorgeschmack auf kommende Entwicklungen

Nach Ansicht der Wissenschaftler können diese in Wikipedia beobachtbaren Trends durchaus einen Vorgeschmack auf künftige Einsatzgebiete und Verhalten von Bots geben – auch in anderen Einsatzbereichen. „Indem wir die Wikipedia-Bots analysieren, können wir Rückschlüsse auf Bots in anderen Zusammenhängen gewinnen, die weniger transparent sind, wie beispielsweise Chat-Bots oder die automatisierten Werkzeuge, die von der Industrie eingesetzt werden“, konstatieren Nickerson und seine Kollegen.

KI-Forscher sind sich weitgehend einig, dass Bot und Mensch in Zukunft immer häufiger eng zusammenarbeiten werden – ob im Internet, der Forschung oder der Industrie. (Proceedings of the ACM on Human-Computer Interaction, 2019; doi: 10.1145/3359317)

Quelle: Stevens Institute of Technology

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