Mysteriöse Wikinger-Grabstätte: In Norwegen haben Archäologen einen Grabhügel entdeckt, in dem ein Totenschiff in einem anderen begraben wurde – das ist bislang einzigartig. Das untere Bootsgrab enthält einen toten Wikinger aus dem 8. Jahrhundert. Im oberen Boot liegt eine Wikingerin, die hundert Jahre später begraben wurde. Warum beide Totenschiffe ineinander bestattet wurden und in welchem Verhältnis die beiden Toten standen, ist jedoch rätselhaft.
Die Wikinger waren nicht nur erfahrene Seefahrer, die sogar Grönland und Nordamerika erreichten. Sie bestatteten auch ihre hochrangigen Toten in Schiffsgräbern, wie einige Funde solcher Gräber in Norwegen und Schweden belegen. Dabei wurden der oder die Tote mitsamt Grabbeigaben in ein Schiff gelegt und dieses dann in einem Grabhügel beerdigt.
Zwei Schiffe übereinander
Doch was die Archäologen jetzt im mittelnorwegischen Vinjeøra gefunden haben, ist bislang einzigartig: In einem nur in Teilen erhaltenen Grabhügel stießen sie auf zwei ineinanderliegende Totenschiffe. Das untere Boot war neun bis zehn Meter lang und enthielt einen männlichen Toten, das obere Boot war sieben bis acht Meter lang und trug die Überreste einer Wikingerfrau.
„Ich hatte schon von einigen Bootsgräbern gehört, die nebeneinander in einem Grabhügel lagen, aber noch nie von einem Totenschiff, das unter einem anderen Boot begraben wurde“, sagt Grabungsleiter Raymond Sauvage von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU). „Das ist ein bisher unbekanntes Phänomen.“
Hundert Jahre dazwischen
Noch rätselhafter ist die Tatsache, dass die beiden Toten mit hundert Jahren Abstand begraben wurden. Der Wikingermann starb bereits im achten Jahrhundert, wie die Forscher anhand seiner Waffen erkennen konnten. Denn neben einem Speer und Schild lag auch ein Schwert mit einseitig geschliffener Klinge im Grab. „Die Schwertstile haben sich im Laufe der Jahrhunderte verändert“, erklärt Sauvage. „Deshalb können wir dieses Schwert eindeutig auf die Merowinger-Zeit in Nordeuropa datieren.“
Anders dagegen die Wikingerfrau: Sie trug zwei Bronzebroschen auf der Brust und am Hals ein Kruzifix, das höchstwahrscheinlich aus Irland stammte und ursprünglich ein Pferdezaumzeug schmückte. „Es war bei den Wikingern durchaus üblich, erbeuteten Zaumzeugschmuck umzufunktionieren und ihn als Schmuck zu tragen“, erklärt Aina Heen Pettersen von der NTNU. Solche Artefakte waren ein Statussymbol derjenigen, die an den Raubzügen teilnahmen.
Ebenfalls im Grab der Wikingerfrau fanden die Forscher eine Perlenkette, zwei Scheren, eine Spindel – und den Kopf einer Kuh.
Familiengrab als Eigentumsbeweis?
Die große Frage aber ist: Warum wurden diese beiden Toten auf so ungewöhnliche Weise im Tode vereint? Bisher ist nicht geklärt, ob beide miteinander verwandt waren, die Forscher halten dies aber für durchaus wahrscheinlich. „Familie war in der Wikingerkultur sehr wichtig, sowohl um den Status zu kennzeichnen und auch um Besitzrechte zu klären“, erklärt Sauvage. So mussten Landbesitzer damals belegen, dass ihr Land schon mindestens fünf Generationen lang von ihrer Familie bewirtschaftet wurde, bevor sie es als Eigentum beanspruchen konnten.
Da der Grabhügel in der Nähe eines einstigen Wikingergehöfts liegt, könnte der Grabhügel eine Art Familiengrab gewesen sein. „Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass die beiden gemeinsam begraben wurden, um die Eigentumsrechte ihrer Familie an diesem Bauernhof zu kennzeichnen“, sagt Sauvage. Ob die beiden Toten jedoch tatsächlich zu einer Familie gehörten, ist bisher nicht geklärt. Mehr Aufschluss darüber könnten DNA-Analysen geben, allerdings ist vor allem vom Wikingermann kaum intaktes Knochenmaterial erhalten, wie die Forscher erklären.
Begraben mit Blick über den Fjord
Interessant ist jedoch auch die Position der Bootsgräber. Denn diese liegen am Rand eines vermutlich deutlich älteren Grabhügels. „Die Verbindung der Bootsgräber untereinander, aber auch der Bootsgräber mit dem Hügel ist sehr spannend“, sagt Sauvage. „Denn beide Gräber liegen direkt am Rand einer Klippe und blicken gleichsam über den Fjord. Das muss früher ein echtes Monument in der Landschaft gewesen sein.“
Zwar ist der Grabhügel durch jahrhundertelange Beackerung des Bodens weitgehend abgetragen. Die Archäologen hoffen aber, bei Wiederaufnahme der Ausgrabungen im nächsten Sommer weitere Funde aus der Wikingerzeit zu entdecken – und vielleicht sogar weitere Tote. „Bisher haben wir immerhin schon einen Teil einer Brosche aus der Merowinger-Zeit gefunden – das deutet darauf hin, dass dieser große Grabhügel einst als Grab einer reichen Frau diente“, sagt Sauvage.
Quelle: Norwegian University of Science and Technology (NTNU)