Viel zu verlieren: Geht der Klimawandel ungebremst weiter, könnte dies die Nahrungsversorgung von 90 Prozent der Weltbevölkerung beeinträchtigen. Denn sowohl Landwirtschaft als auch Fischerei müssten bis 2100 mit erheblichen Einbußen rechnen, wie Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten. Würde man dagegen die Pariser Klimaschutzziele einhalten, könnten viele Länder sogar profitieren – darunter auch die großen CO2-Emittenten.
Der Klimawandel und die mit ihm verbundenen Wetterextreme führen schon jetzt immer wieder zu Ernteeinbußen in der Landwirtschaft. Denn viele Nutzpflanzen kommen schlecht mit der zunehmenden Hitze und Dürre zurecht. In Zukunft könnte dies zu noch drastischeren Engpässen und Ernteausfällen führen – dies gilt für Weizen, Reis und andere Getreide, aber auch für Kaffee, Bananen und andere Früchte. Ähnlich schlechte Prognosen gibt es für viele Fischbestände.
Klima, Produktivität und Anfälligkeiten
Doch wie wirkt sich dies konkret aus? Das haben nun Lauric Thiault von der Université Paris und seine Kollegen erstmals weltumspannend und an ganzen Nahrungssystemen untersucht. Für ihre Studie ermittelten sie zunächst mithilfe von Modellen, wie sich die Produktivität der Grundnahrungsmittel Weizen, Reis, Soja und Mais, sowie die Fischereierträge bis 2100 unter zwei verschiedenen Klimaszenarien entwickeln werden – unter ungebremster Erwärmung (RCP 8.5) oder beim Zwei-Grad-Klimaschutzziel (RCP 2.6).
Diese Daten kombinierten sie dann mit der Abhängigkeit der 194 betrachteten Länder von diesen Nahrungsmitteln – sowohl für die Ernährung als auch für die nationale Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. Zusätzlich berücksichtigten sie dabei auch, welche Kapazitäten die verschiedenen Länder und Regionen für eine Anpassung an die Klimafolgen haben.
90 Prozent der Menschheit betroffen
Das Ergebnis: Geht der Klimawandel weiter wie bisher, werden Ende des Jahrhunderts 97 Prozent der Menschheit direkt von Einbußen in mindestens einem Sektor der Nahrungsproduktion betroffen sein. 90 Prozent der Weltbevölkerung würde zudem in Ländern leben, in denen sowohl Landwirtschaft als auch Fischerei negativ vom Klimawandel betroffen ist. Die Forscher bezeichnen diesen doppelten Verlust als „perfekten Sturm“ der Anfälligkeiten.
„Tropische Regionen, vor allem Mittelamerika, Zentral- und Südafrika sowie Südostasien würden überproportional stark mit solchen ‚lose-lose‘-Situationen konfrontiert sein“, erklären Thiault und sein Team. „Diese Regionen sind jedoch für Arbeit, Nahrungssicherheit und Einkommen hochgradig abhängig von diesen Sektoren.“
Vom ungebremsten Klimawandel profitieren würden dagegen nur drei Prozent der Menschheit. Zu ihnen gehören vor allem Bewohner der hohen Breiten, weil dort Landwirtschaft und Fischerei bisher durch die Kälte limitiert werden.
Klimaschutz verringert Ausmaß der Verluste
Doch was wäre, wenn der Klimaschutz doch noch greift und das Zwei-Grad-Ziel eingehalten wird? Unter diesem Szenario wären noch immer rund 60 Prozent der Menschheit von Einbußen in Landwirtschaft und Fischerei betroffen. „Auch wenn dies eine ziemlich düstere Aussicht scheint, wäre das Ausmaß dieser Verluste unter RCP 2.6 erheblich geringer“, betonen die Forscher. So würden die Erträge der Landwirtschaft nur um fünf statt 25 Prozent sinken und die Erträge im Fischfang nur um 15 statt 60 Prozent.
„Das Erreichen der Klimaziele von Paris kann demnach die Anfälligkeit der Menschheit gegenüber den Folgen des Klimawandels für die Nahrungssystem massiv verringern“, konstatieren Thiault und seine Kollegen. Denn die Nettogewinne durch erfolgreichen Klimaschutz würden die Nettoverluste klar aufwiegen.
Vorteile auch für große CO2-Emittenten
Zugutekommen würde dies nicht nur den armen, besonders anfälligen Regionen, wie die Forscher betonen: Auch die Länder, die heute zu den größten Emittenten von CO2 gehören, hätten im Klimaschutz-Szenario deutliche Vorteile. „Unter den 15 Ländern, die aktuell rund 80 Prozent der Treibhausgase ausstoßen, würden die meisten Nettogewinne in Landwirtschaft und Fischerei erleben“, berichten Thiault und seine Kollegen.
Nach Ansicht der Wissenschaftler sollte dies gerade für die großen Treibhausgas-Emittenten eine zusätzliche Motivation sein, sich beim Klimaschutz mehr anzustrengen. Denn nichts getan wird, müssen auch sie mit Einbußen in Landwirtschaft und Fischerei rechnen. Gelingt es jedoch, die Erwärmung einzudämmen, dann profitiert auch ihre Wirtschaft. (Science Advances, 2019; doi: 10.1126/sciadv.aaw9976)
Quelle: Science Advances