Hohe Dunkelziffer: Im vergangenen Jahr wurde bei 141.000 Menschen in Europa eine HIV-Infektion neu diagnostiziert. Bei vielen Betroffenen wurde die Erkrankung jedoch erst in einem späten Stadium erkannt – insbesondere bei Frauen, wie ein Bericht enthüllt. Die Hälfte der Patientinnen erhielt die Diagnose demnach erst, als ihr Immunsystem bereits stark geschwächt war. Experten plädieren daher für bessere Aufklärungs- und Früherkennungsprogramme.
Das Aids-Virus grassiert noch immer – doch eine Infektion ist heute kein Todesurteil mehr. Zwar gibt es kein echtes Heilmittel oder eine Schutzimpfung gegen HIV. Mithilfe antiviraler Therapien lässt sich die Vermehrung der Viren aber effektiv hemmen. Moderne Medikamente können die Virenlast dabei sogar so stark verringern, dass HIV-positive Menschen nicht mehr ansteckend sind.
Trotzdem ist die Bekämpfung von HIV/Aids nicht überall erfolgreich. Dies liegt unter anderem daran, dass Patienten ihre Tabletten oftmals nicht so konsequent einnehmen wie es nötig wäre. Zudem wird die Infektion bei vielen Betroffenen erst in einem späten Stadium diagnostiziert.
Rund 141.000 Neudiagnosen
Pünktlich zum Weltaidstag am 1. Dezember hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nun neue Zahlen zur Verbreitung des Immunschwäche-Virus in Europa veröffentlicht. Allein im Jahr 2018 haben demnach 141.552 Menschen neu die Diagnose einer HIV-Infektion erhalten – 26.164 von ihnen leben in Staaten der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums.
Selbst in Europa breitet sich HIV demnach trotz Aufklärungskampagnen und wirksamer, die Virenlast senkender Therapien noch immer aus – wenn auch in weit geringerem Maße als beispielsweise in Afrika. Ein wesentliches Problem sind den Experten zufolge auch in Europa zu späte Diagnosen. Viele Infektionen werden demnach erst erkannt, wenn das körpereigene Abwehrsystem bereits stark geschwächt ist. Dies lässt sich an der Zahl bestimmter Immunzellen im Blut feststellen.
Bei Frauen oft erst spät erkannt
Frauen machten im Jahr 2018 ein Drittel der neu diagnostizierten HIV-Fälle in Europa aus. Gerade bei ihnen wird die HIV-Infektion oftmals erst in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt: Die Hälfte der Patientinnen erhielt die Diagnose erst, als die Zahl ihrer CD4-Immunzellen schon auf weniger als 350 Zellen pro Milliliter Blut gesunken war, wie die Forscher berichten.
Besonders häufig kam dies demnach bei Frauen vor, die 40 Jahre oder älter waren. Die Wahrscheinlichkeit einer späten Diagnose war bei ihnen drei- bis viermal höher als bei jüngeren Frauen. „Frauen erhalten die HIV-Diagnose grundsätzlich später als Männer und je älter sie sind, desto länger leben sie mit einer unerkannten Infektion“, berichtet Andrea Ammon vom Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC). „Warum das so ist, wissen wir nicht.“
Gezieltere Ansprache nötig
Nach Ansicht der WHO-Regionaldirektorin für Europa, Piroska Östlin, zeigen diese Zahlen, dass Beratungs- und Früherkennungsangebote ältere Frauen nicht erreichen. „Es ist Zeit, das Schweigen über die sexuelle Gesundheit zu brechen und sicherzustellen, dass alle Frauen gut informiert werden und sich schützen können“, so ihre Forderung. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten in Zukunft bessere Strategien und Maßnahmen her, heißt es in dem Bericht.
Neben einer verstärkten Aufklärung über das Problem empfehlen die Experten unter anderem den Zugang zu HIV-Tests niedrigschwelliger zu gestalten. So könnte Frauen ein solcher Test aktiv angeboten werden, wenn sie zum Beispiel wegen einer anderen sexuell übertragbaren Erkrankung behandelt werden. Zudem könne vermehrt auf Selbsttests gesetzt werden. Darüber hinaus rät die WHO, Partnerinnen von Männern, bei denen HIV festgestellt wurde, automatisch über diese Diagnose zu informieren.
Frühe Therapie ist wichtig
„Zu viele HIV-Patienten sind sich ihrer Infektion nicht bewusst“, konstatiert Vytenis Andriukaitis, Europäischer Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. „Je früher Frauen und Männer von ihrer HIV-Infektion wissen, desto schneller können sie mit einer antiretroviralen Behandlung beginnen und die sexuelle Übertragung von HIV unterbinden. Es ist daher umso wichtiger, dass das öffentliche Gesundheitswesen einen leichten Zugang zu Tests und eine schnelle Verknüpfung mit einer entsprechenden Versorgung ermöglicht.“
Quelle: Europäisches Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC)