Physik

US-Atomprogramm: Wer war der vierte Spion?

Ein Techniker im Manhattan Project gab Geheimdaten an die Sowjets weiter

Los Alamos
Die Forschungslabore des Manhattan Project in Los Alamos waren streng geheim. Dennoch gab es dort Spione der Sowjets – den vierten enthüllen jetzt alte FBI-Dokumente. © Los Alamos National Lanoratory

Nach 70 Jahren enttarnt: Es gab einen vierten Sowjet-Spion im US-Atomprogramm – seine Identität wurde nun enthüllt. Demnach übermittelte der Ingenieur Oscar Seborer zwischen 1944 und 1946 geheime Daten aus dem Manhattan Project an die Sowjetunion. Das geht aus inzwischen freigegebenen FBI-Dokumenten hervor. Verdacht schöpften die Behörden zwar schon 1955, seine Rolle als Atomspion haben die Forscher aber erst jetzt aufgedeckt.

In den 1940er Jahren lieferten sich Kernphysiker beiderseits des Atlantik einen Wettlauf um die erste Atombombe. Während jedoch das deutsche Uranprojekt kaum über Vorversuche mit Testreaktoren hinauskam, machte das US-Atomprogramm große Fortschritte. Seinen unrühmlichen Höhepunkt fand das Manhattan Project im Abwurf der ersten Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die USA ihre Atomtests im Pazifik fort und entwickelten die ersten Wasserstoffbomben.

Atomspione
Klaus Fuchs, David Greenglass und Theodore Hall spionierten in Los Alamos für die Sowjets – das ist schon länger bekannt. © LANL/ US Archives

Wer war der Vierte?

Doch auch die Sowjetunion wollte Atombomben – und platzierte dafür gleich mehrere Spione im Manhattan Project. Drei dieser Sowjetspione sind schon länger bekannt: Klaus Fuchs, David Greenglass und Theodore Hall, der erst 1995 identifiziert wurde. Doch schon länger gibt es die Vermutung, dass es in den geheimen Laboren von Los Alamos noch einen vierten Spion gegeben hat. Seine Identität jedoch blieb verborgen.

Jetzt jedoch haben zwei US-Historiker diesen vierten Spion enttarnt. Demnach handelte es sich um Oscar Seborer, einen Ingenieur, der von 1944 bis 1946 in Los Alamos als Techniker an der Entwicklung des Zündmechanismus für die Plutoniumbombe beteiligt war. In dieser Zeit gab Seborer geheime Informationen über das Atombombenprojekt über kommunistische Verbindungsleute an die Sowjets weiter, wie John Haynes von der US Library of Congress und Harvey Klehr von der Emory University jetzt herausgefunden haben.

Spurensuche in alten FBI-Aufzeichnungen

Aufgeflogen ist Seborers Identität erst, nachdem Klehr und Haynes nun tausende von 2011 aus der Geheimhaltung entlassene FBI-Akten nach Hinweisen auf den Spion durchforstet haben. „Die Geschichte von Oscar Seborers Atomspionage findet sich auf ein paar Dutzend leicht zu übersehenden Seiten unter zehntausenden“, erklären sie. Ergänzende Hinweise fanden die Forscher in KGB-Berichten, die 2009 von einem Überläufer offenbart worden waren.

Aus den Dokumenten geht hervor: Das FBI wusste zwar schon seit 1955, dass Oscar Seborer und ein Großteil seiner Familie 1952 erst nach Ostdeutschland, dann nach Moskau geflohen waren. Aber die Rolle von Oscar Seborer als Atomspion blieb trotz einiger verräterischer Indizien unbekannt. „Sieben Jahrzehnte lang blieb die Identität dieses Spions in den Untersuchungsakten des FBI vergraben“, sagen Klehr und Haynes.

Los Alamos Techniker
Ein Techniker bei der Arbeit an einem Cyclotron in Los Alamos – auch die Techniker hatten damals Zugang zu geheimenIinformationen. © LANL

Tipps aus kommunistischen Kreisen

Die entscheidenden Hinweise erhielt das FBI schon 1955 von Jack Childs, einem in kommunistische Kreise eingeschleusten Undercover-Agenten. Dieser erfuhr bei einem Gespräch mit dem US-Kommunisten Isidore Needleman, dass Oscar Seborer geheime Daten an die Sowjets weitergegeben hatte. „Hör gut zu: Oscar war in New Mexico – du weißt schon was ich meine“, sagte Needleman den FBI-Aufzeichnungen zufolge. „Obwohl Needleman nie die Worte ‚Atombombe‘ oder ‚Los Alamos‘ verwendete, war die Implikation klar“, sagen Klehr und Haynes. Zudem soll Needleman auf einem Zettel notiert haben, dass Oscar den Sowjets „die Formel für die A-Bombe übergab“.

Aus den KGB-Dokumenten geht hervor, dass Oscar Seborer bei den Sowjets unter dem Codenamen „Godsend“ geführt wurde. „Den Akten zufolge war Godsend in Los Alamos und lieferte Informationen über ‚Enormous‘ – die KGB-Bezeichnung für das Atombombenprojekt“, berichten Klehr und Haynes.

Ausmaß der Spionage noch unklar

Welche Daten Seborer damals konkret an die Sowjets weitergab, bleibt jedoch vorerst offen. „Wir wissen nur, dass Seborer etwas lieferte“, so die Forscher. Allerdings scheinen diese Informationen nicht unwichtig gewesen zu sein, denn Oscar Seborer bekam im Jahr 1964 von den Sowjetbehörden den Orden des Roten Sterns verliehen. „Sein Beitrag muss daher von einigem Wert gewesen sein“, so Klehr und Haynes.

Seine Enttarnung als Atomspion erlebt Seborer selbst allerdings nicht mehr: Er ist im April 2015 in Moskau gestorben. (Studies in Intelligence, 2019; Vol 63, No 3)

Quelle: CIA Center for the Study of Intelligence

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