Aus der Bahn geworfen: Astronomen haben erstmals zwei Kometen identifiziert, die durch fremde Sterne in Richtung Sonne geschleudert wurden. Nahe Passagen dieser Sterne störten die Bahn dieser eisigen Brocken und lenkten sie ins innere Sonnensystem. Die Fahndung nach solchen „Kometenschleudern“ belegt aber auch, dass solche Passagen zu selten vorkommen, um alle langperiodischen Kometen zu erklären.
Ob Hale-Bopp, der „Große Komet von 2007“ oder C/2014 Q2 Lovejoy: Sie alle sind langperiodische Kometen mit Umlaufzeiten von oft mehr als 200 Jahren. Gängiger Theorie nach stammen sie aus der Oortschen Wolke, einem das Sonnensystem umgebenden Reservoir von Milliarden eisiger Brocken. Der Astronom Jan Oort postulierte schon in den 1950er Jahren, dass nahe Sternpassagen einige dieser Brocken aus ihrer Bahn werfen und sie nach innen ins Sonnensystem schleudern könnten.
Fahndung nach nahen Begegnungen
Doch hatte Oort damit recht? „Seit dieser Zeit haben viele Astronomen versucht, einen Stern zu finden, der einen der beobachteten Kometen gestört haben könnte“, erklären Rita Wysoczanska von der Mickiewicz Universität in Posen und ihre Kollegen. Aber es fehlte an präzisen Bewegungsdaten über nahe Sterne, die den Abgleich mit Kometen ermöglicht hätten. So kam zwar vor rund 70.000 Jahren ein Doppelstern bis auf weniger als ein Lichtjahr an die Sonne heran. Welche Kometen er aber konkret aus der Bahn warf, lässt sich nicht feststellen.
Das aber hat sich nun geändert – dank des 2018 veröffentlichten zweiten Sternenkatalogs des Gaia-Satelliten. Aus ihm haben Wysoczanska und ihr Team mithilfe eines Modells knapp 650 Sterne ausgewählt, die irgendwann einmal das Sonnensystem im Abstand von weniger als 13 Lichtjahren Entfernung passiert haben. Über Tempo und Bewegungsrichtung der Sterne ermittelten die Forscher dann, wann diese Begegnung stattfand und suchten nach langperiodischen Kometen, die zu dieser Zeit in derselben Raumgegend präsent gewesen sind.
Zwei überzeugende Kandidaten
Dann folgte der entscheidende Schritt: Die Astronomen setzen die Bewegungsdaten von Stern und Komet in ein astrophysikalisches Modell ein und beobachteten, ob der Komet ohne die Sternpassage den gleichen Orbit entwickeln würde wie mit. „Insgesamt testeten wir so 498 verschiedene Bahnlösungen für 277 Kometen“, so die Forscher.
Das Ergebnis: „Es scheint, dass wir zum ersten Mal tatsächlich starke Stern-Kometen-Interaktionen gefunden haben“, berichten Wysoczanska und ihre Kollegen. „In zwei Fällen liegen die Abstände beider nur wenige hundert astronomischen Einheiten auseinander und die daraus resultierenden Veränderungen in der Kometenbahn sind spektakulär.“ Hätte man nur galaktische Gezeiten und andere Einflüsse auf Galaxienebene berücksichtigt, hätte sich die Bahn dieser beiden Kometen völlig anders entwickelt.
In eine parabolische Flugbahn katapultiert
Der erste Fall ist der im Januar 2002 vom LINEAR-Teleskop entdeckte Komet C/2002 A3. Den Modellen zufolge besaß dieser Komet ursprünglich einen kaum exzentrischen Orbit, der ihn vor gut elf Millionen Jahren zuletzt ins innere Sonnensystem brachte. Doch vor rund 2,8 Millionen Jahren zog der Stern HD 7977 in nur 740 astronomischen Einheiten Abstand vom Kometen am Sonnensystem vorüber – und sein Schwerkrafteinfluss veränderte die Kometenbahn entscheidend, wie die Forscher berichten.
„Eine solche Stern-Kometen-Wechselwirkung entspricht geradezu ideal dem von Oort vorgeschlagenen Szenario: Ein vorüberziehender Stern verändert den Orbit eines Kometen in der Oortschen Wolke von nur leicht elliptisch in eine parabolische Flugbahn, wie wir sie heute beobachten“, erklären Wysoczanska und ihre Kollegen.
Nahe Passage vor 1,5 Millionen Jahren
Der zweite Fall einer „kometenschleudernden“ Sternpassage ereignete sich vor rund 1,5 Millionen Jahren. Damals zog ein knapp sonnengroßer Stern in weniger als 1.000 astronomischen Einheiten Abstand am Kometen C/2012 F3 vorbei. Vor dieser Sternenpassage kam der Komet der Sonne möglicherweise nicht näher als 7.500 astronomische Einheiten, diese Berechnung ist jedoch mit großer Unsicherheit behaftet, wie die Astronomen einräumen.
Dennoch sei es sehr wahrscheinlich, dass die Flugbahn von C/2012 F3 erst durch den „Schwerkraft-Schubs“ des Sterns deutlich exzentrischer wurde, so die Forscher. Dadurch geriet er in eine Bahn, die ihn im Jahr 2015 erstmals bis auf 3,46 astronomische Einheiten an die Sonne heranbrachte. „Unserer Ergebnisse sind damit die erste Bestätigung von Oorts Konzept, das auf echten Sternen beruht“, konstatieren Wysoczanska und ihr Team.
Überraschend selten
Merkwürdig jedoch: „Obwohl wir jedes Jahr Dutzende von Kometen beobachten, haben wir in unserer Studie nur zwei Fälle gefunden, denen wir eine Sternpassage zuordnen konnten“, sagt Wysoczanska. Von 647 potenziellen „Kometenschleudern“ kamen nur zwei einem Kometen nahe genug, um dessen Bahn zu stören. Damit dies geschieht, muss der Stern zudem genügend Masse besitzen und noch dazu möglichst langsam an der Oortschen Wolke vorbeifliegen, so die Astronomen.
„Demnach scheint der von Oort postulierte Mechanismus nicht auszureichen, um alle beobachteten Kometen zu erzeugen“, sagt Wysoczanska. Was die restlichen Kometen aus ihrer Bahn geworfen hat, bleibt daher vorerst offen. (Mothly Notices of the Royal Astronomical Society, in press; arXiv:1911.01735)
Quelle: arXiv