Mysteriöses Muster: Der Saturnmond Enceladus besitzt am Südpol verblüffend regelmäßige, parallele „Tigerstreifen“ – tiefe, gerade Risse der Eiskruste. Was hinter diesem einzigartigen Phänomen steckt, haben nun Forscher aufgeklärt. Demnach sind diese Risse durch eine Kettenreaktion entstanden, die durch das Wechselspiel von Gezeitenkräften und Eiskruste in Gang kam. Ein solcher Kaskadeneffekt wäre nirgendwo sonst im Sonnensystem möglich, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Astronomy“ berichten.
Der Saturnmond Enceladus ist einer der spannendsten Himmelskörper im Sonnensystem – und ein möglicher Kandidat für außerirdisches Leben. Denn unter seiner Eiskruste liegt ein Ozean aus flüssigem Wasser, in dem es möglicherweise sogar hydrothermale Schlote gibt. Über Risse am Südpol des Mondes schießt alkalisches, mineralreiches Wasser aus diesem Ozean ins All hinaus.
Wie mit dem Lineal gezogen
Doch gerade diese Risse auf dem Saturnmond geben schon seit Jahren Rätsel auf. „Diese zuerst von der Cassini-Mission gesichteten Streifen sind anders als alles bisher aus dem Sonnensystem bekannte“, sagt Erstautor Douglas Hemingway von der Carnegie Institution for Science. Denn statt chaotisch wie auf dem Jupitermond Europa, verlaufen die rund 130 Kilometer langen Eisrisse auf Enceladus erstaunlich parallel. Zudem ist ihr Abstand mit jeweils rund 35 Kilometern verblüffend regelmäßig.
Wie aber kamen diese seltsam ordentlichen „Tigerstreifen“ des Saturnmonds zustande? Bisher gab es darauf keine eindeutige Antwort, weil kein Modell alle Eigenschaften dieser Risse befriedigend erklären konnte. Doch nun könnten Hemingway und seine Kollegen eine solche Erklärung gefunden haben. Für ihre Studie hatten sie physikalische Modelle zu einer Simulation der Prozesse auf dem Saturnmond kombiniert.
Mit nur einem Riss fing es an
Das Ergebnis: Den Anstoß für die Tigerstreifen gaben die Gezeitenkräfte, die auf den Enceladus wirken. Weil der Mond auf einer exzentrischen Bahn um den Saturn kreist, wird sein Inneres vom wechselndem Schwerkrafteinfluss des Planeten abwechselnd gedehnt und gestaucht. Das liefert nicht nur die Wärme für den subglazialen Ozean, es beeinflusst auch die Eiskruste: „Die Erwärmung durch die Gezeitenkräfte macht die Eiskruste an den Polen am dünnsten“, berichten Hemingway und seine Kollegen.
Das erklärt, warum die Tigerstreifen an einem Pol liegen: Die Gezeitenkräfte erzeugten einen Überdruck unter dem Eis, der die dünne Südpolkruste zum Aufbrechen brachte – der „Bagdad Sulcus“ getaufte Eisriss entstand. Das Entscheidende jedoch: Sobald dieser erste Riss entstand, fiel der Druck auf die Eiskruste ab. „Dadurch konnte am gegenüberliegenden Pol kein weiterer Bruch mehr entstehen“, berichten Hemingway und sein Team.
Kettenreaktion im Eis
Doch wie entstanden aus diesem ersten Riss die Tigerstreifen? „Nachdem sich diese offene Spalte gebildet hatte, stieg flüssiges Wasser auf und begann bei Kontakt mit dem Vakuum an der Oberfläche zu verdampfen“, erklären Hemingway und sein Team. Dieser Wasserdampf gefriert jedoch sofort und fällt beiderseits des Bagdad Sulcus auf die Eiskruste zurück. Durch diese zusätzliche Eisauflage gerät die Eiskruste unter Spannung – bis es zum erneuten Bruch kommt.
Der Abstand von 35 Kilometern zwischen den Tigerstreifen ist dabei kein Zufall, wie die Forscher berichten. Denn Dicke, Temperatur und Stabilität der Eiskruste sorgen dafür, dass die eisinternen Spannungen in genau dieser Entfernung die Schwelle zum Riss überschreiten. Letztlich sorgt damit jeder „Tigerstreifen“ dafür, dass sich parallel zu ihm weitere Risse bilden. „Diese Kaskade der Rissbildung setzt sich in symmetrischen Paaren nach außen hin fort“, erklären die Wissenschaftler.
Nur auf Enceladus möglich
Damit erschuf diese Kettenreaktion die parallelen Eisspalten des Enceladus – und erklärt das seltsam geordnete Muster der „Tigerstreifen“, wie Hemingway udn sein Team konstatieren. Ein Ende hat das Tigermuster ihrem Modell zufolge erst dort, wo die Eiskruste mit zunehmender Entfernung vom Südpol zu dick für durchgehende Risse und Wasserdampffontänen wird.
Die Studie enthüllt jedoch auch, warum diese Tigerstreifen nur auf Enceladus entstehen konnten. Demnach ist die Schwerkraft nur auf dem rund 500 Kilometer kleinen Saturnmond gering genug, um diese „Kettenreaktion“ der Rissbildung aufrechtzuerhalten. Denn auf größeren Himmelskörpern würde die Gravitation das Eis stärker komprimieren und so stabiler gegenüber einem solchen sich fortsetzenden Aufreißen machen, wie die Wissenschaftler erklären.
„Unsere Modellierung der physikalischen Vorgänge in der Eiskruste von Enceladus demonstriert eine potenziell einzigartige Abfolge der Ereignisse und Prozesse, die diese auffallenden Streifen erschuf“, sagt Hemingway. (Nature Astronomy, 2019; doi: 10.1038/s41550-019-0958-x)
Quelle: Carnegie Institution for Science, University of California – Davis