Einzigartiges Verhalten: Zwei Schimpansenweibchen in einem US-Zoo vollführen regelmäßig eine Art Tanz – sie tanzen Conga. Eng hintereinander laufend bewegen sie sich dabei im synchronen Gleichschritt durch das Gehege. Dieses völlig spontan entstandene und nie zuvor bei Menschenaffen beobachtete Verhalten wirft ein ganz neues Licht auf die Entwicklung des Tanzens bei unseren frühen Vorfahren, wie die Forscher erklären.
Tanzen ist eine der ältesten und weit verbreitetsten Ausdruckformen der Menschheit. Nahezu jede Kultur hat eine Form des gemeinsamen Tanzens entwickelt – als Ausdruck der Freude, als Teil eines Festes oder Rituals oder als sozialer Kitt in einer Gruppe. Doch wann das Tanzen sich entwickelt hat und ob vielleicht schon die gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Menschenaffe ein ähnliches Verhalten zeigten, war bislang offen.
Können Affen tanzen?
„Bisher schien es bei unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, kein solches Verhalten zu geben“, erklärt Erstautor Adriano Lameira von der University of Warwick. Eine mögliche Erklärung dafür war, dass das Tanzen einfach zu komplex ist: „Beim Tanzen müssen die Einzelnen ihre Köperbewegungen komplett und mit nahezu perfekter Präzision mit denen ihres Partners synchronisieren“, so Lameira.
Zudem ist beim Tanzen meist Musik oder zumindest eine Form des äußeren Taktgebers mit im Spiel. Tatsächlich zeigen einige Tierarten eine tanzähnliche Reaktion auf Musik. So wippen Kakadus und auch Seelöwen verblüffend gekonnt im Takt der Musik. Aber ausgerechnet unsere nächsten Verwandten schienen bislang keinen Sinn fürs Tanzen zu besitzen.
Conga durch das Schimpansengehege
Doch nun belehren zwei Schimpansenweibchen im Zoo von St. Louis die Wissenschaftler eines Besseren. Denn die beiden Affendamen Holly und Bahkahri haben vor einigen Jahren spontan ein verblüffend tanzähnliches Ritual entwickelt. Dabei greifen beide ein Bündel Stroh oder Sackleinen, richten sich auf die Hinterbeine auf und Bahkahri hält sich wenige Zentimeter hinter Holly stehend mit einem Arm an ihr fest.
Dann beginnen beide mit perfekt synchronen Schritten durch das Gehege zu gehen – als würden sie Conga tanzen. „Diese Synchronizität bleibt selbst dann erhalten, wenn beide über größere Hindernisse hinwegsteigen wie einen umgekippten Baumstamm oder wenn sie eine 180 Grad Wendung vollführen“, berichten Lameira und seine Kollegen. Auch bei einem Tempowechsel oder einer kurzen Pause bleiben die beiden Affendamen perfekt im Gleichschritt. Sie tanzen ihre Conga quer durch das ausgedehnte Schimpansengehege, ohne sich von den sechs weiteren Artgenossen stören zu lassen.
Erster Beleg für tanzähnliches Verhalten bei Menschenaffen
„Ein solches Verhalten ist bislang noch nie bei einem Primaten außer dem tanzenden Menschen beobachtet worden“, sagen die Forscher. „Dies ist der erste Beleg für ein gegenseitig synchronisiertes rhythmisches Bewegungsverhalten zwischen zwei Menschenaffen in einer quasi-natürlichen Umgebung.“ Lameira und seine Kollegen schließen aus, dass die bei Holly und Bahkahri beobachtete synchrone Paarbewegung rein zufällig ist. Auch von Besuchern oder Tierpflegern können die Affendamen dieses Verhalten nicht abgeschaut haben.
Stattdessen scheinen die beiden Affendamen ihren „Congatanz“ bewusst einzuleiten. Manchmal geschieht dies, indem beide im Sitzen synchrone, wippende Bewegungen mit dem Oberkörper durchführen – als lauschten sie einem unhörbaren Rhythmus. Geht der Tanz dann los, ist es stets Holly, die vorangeht, obwohl sich beide Schimpansinnen in ihrer Rolle als Taktgeber abwechseln, wie die Forscher beobachteten.
Tanz als Stresslöser
Nach Ansicht der Forscher demonstrieren Holly und Bahkahri mit ihrer „Conga“ eine Vorform des Tanzens – und werfen ein ganz neues Licht darauf, wie und warum Tanz bei unseren Vorfahren entstanden sein könnte. „Man hat angenommen, dass sich Tanz entwickelt hat, um die Bindung größerer Gruppen zu stärken“, erklären Lameira und sein Team. „Aber das rhythmische Miteinander dieser Schimpansen deutet darauf hin, dass einige der sozialen Vorteile dieses Verhaltens auf der untersten Ebene liegen – zwischen zwei Individuen.“
Zwar ist noch unklar, warum diese beiden Affendamen ihr „Tanzritual“ entwickelt haben – und warum sie bisher die einzigen sind. Die Forscher vermuten aber, dass dieses Verhalten den Schimpansenweibchen dabei hilft, Stress abzubauen. Denn die synchronen, regelmäßigen und wiederholten Bewegungen erinnern ein wenig an stereotype Verhaltensweisen, die einige Tiere in Gefangenschaft entwickeln. Kombiniert mit der engen Berührung, könnte diese Form der Bewegung auch auf die beiden Schimpansinnen beruhigend wirken.
Begann der Tanz „stumm“?
Und noch eine Annahme könnte der Conga der Affendamen widerlegen: den der Musik oder eines äußeren Taktgebers als notwendigen Begleiter des Tanzens. Stattdessen könnte sich zumindest die Vorform des Tanzens als rein synchrone, aus sich heraus getaktete Bewegung entwickelt haben. „Der Tanz könnte evolutionär gesehen als stummes Verhalten begonnen haben“, so Lameira und sein Team.
Das würde bedeuten, dass nicht ein Rhythmus oder die Musik unsere Vorfahren zum Tanzen brachte, sondern das unwillkürliche, von unseren Vorfahren geerbte Bedürfnis, durch diese enge, synchrone Bewegung Stress abzubauen und beruhigende Nähe zu empfinden. (Scientific Reports, 2019 doi: 10.1038/s41598-019-55360-y)
Quelle: University of Warwick