Fliegender Wechsel: Nur 270 Kilometer vom Nordpol entfernt, geht die arktische MOSAiC-Expedition in ihre nächste Phase. Ein russischer Eisbrecher hat die neue Crew sowie Versorgungsgüter bis zu dem vom Meereis eingeschlossenen Forschungsschiff „Polarstern“ und ihrem Eiscamp gebracht. Beide mussten bereits einen heftigen Sturm und immer wieder aufbrechendes Eis überstehen – doch der Aufwand hat sich schon jetzt gelohnt.
Es ist die größte Arktisexpedition aller Zeiten und ein riskantes Unterfangen: Am 20. September 2019 ist ein internationales Forscherteam mit dem Forschungseisbrecher Polarstern zu einer einjährigen Drift durch das Nordpolarmeer aufgebrochen. An einer Eisscholle angedockt, hat sich die Polarstern im Eis einfrieren lassen und ist seither schon mehr als 200 Kilometer weit durch das Nordpolarmeer gedriftet.
Teamwechsel in Dunkelheit und Kälte
Jetzt, inmitten der Polarnacht, vollziehen die Teilnehmer der MOSAiC-Expedition einen logistisch aufwendigen Schichtwechsel: Rund 100 Personen der alten Crew wechseln von der Polarstern auf den russischen Versorgungseisbrecher Kapitan Dranitsyn, der nach zehntägiger mühevoller Fahrt endlich zum Eiscamp durchbrechen konnte. Als Ersatz beginnen nun rund 100 neue Expeditionsmitglieder ihre Zeit auf dem Polareis.
Der Austausch zwischen den Schiffen bedeutet eine komplexe logistische Operation. Ein Teil der Fracht wird dabei über das Eis transportiert, ein anderer Teil kann direkt mit Kränen von Schiff zu Schiff befördert werden. Mit aufs Eis gebracht hat das Versorgungsschiff auch Weihnachtsgeschenke für die internationale Crew. Für die scheidenden Teilnehmer heißt es nun, zurückzukehren in den vergleichsweise milden und hellen Winter ihrer Heimat.
„Die Stimmung hier ist ausgezeichnet“, berichtet MOSAiC-Expeditionsleiter Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut (AWI). „Trotzdem tun sich manche Teilnehmer schwer, die Instrumente – ihre „Babys“ auf dem Eis – an das nächste Team zu übergeben.“
Erster Arktis-Sturm live und vor Ort
Die Übergabe ist auch Anlass für die Wissenschaftler, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen: Trotz einiger Herausforderungen durch widriges Wetter und dünnes Eis schaffte es das Team, ihre Forschungsstation auf dem Eis „ihrer“ Driftscholle zu erreichten. Die Polarstern ist inzwischen von einem sich über 40 Kilometer im Umkreis erstreckenden Netzwerk aus Messinstrumenten und Sensoren umgeben.
„Die erste Phase der Expedition war nicht leicht. Das Eis ist mit unter einem Meter ungewöhnlich dünn, sehr dynamisch und in ständiger Bewegung“, berichtet Rex. „Sehr häufig hatten wir neue Risse und Spalten im Eis oder es bildeten sich mehrere Meter hohe Presseisrücken – Gebirge aus Eis, in denen sich die Schollen durch Druck haushoch übereinander türmen.“ Immer wieder begruben die Eismassen oder neu aufreißende Eisspalten Teile der Ausrüstung, die dann geborgen und mit großem Aufwand neu aufgebaut werden musste.
Trotz dieser Probleme konnte die Expedition schon einzigartige Daten über die zentrale Arktis und ihr Klima sammeln. Ein besonderer Höhepunkt war dabei Mitte November ein heftiger Sturm. Trotz einiger Schäden am schwimmenden Forschungscamp konnten die Forscher erstmals die Auswirkungen eines solchen Sturms auf den Ozean, das Eis, den Schnee und die Atmosphäre live mitverfolgen. „Noch nie sind die Auswirkungen solcher Stürme auf das arktische Klimasystem so umfassend dokumentiert worden“, sagt Rex.
Neuland für die Polarforschung
Inzwischen liegt die Driftstation samt Forschungsschiff nur noch 270 Kilometer vom Nordpol entfernt. Dem neuen Team der MOSAiC-Expedition steht nun die dunkelste und kälteste, aber gleichzeitig auch spannendste Forschungsetappe bevor: der Winter auf dem Nordpolarmeer. Bisher hat noch keine Expedition während dieser Zeit Daten direkt in der zentralen Arktis gesammelt.
„Eine ganz große Herausforderung ist für uns Neue, dass wir zu einer Scholle kommen, die wir nie bei Tageslicht gesehen haben, und deshalb keine Ahnung haben, wo wir eigentlich stecken“, berichtet Christian Haas vom AWI, der Leiter des zweiten MOSAiC-Expeditionsabschnitts. Die neue Crew hat aber technische Hilfsmittel Laserscanner und Infrarotkameras, um ihre Umgebung zu kartieren. Während einer etwa fünftägigen Übergabe erhält das neue Team zudem eine intensive Einweisung von ihren Vorgängern – auch im Hinblick auf die Eisbären, die dem Forschungscamp schon wiederholt Besuche abgestattet haben.
„Besonders gespannt bin ich, ob es weiterhin zu Warmlufteinbrüchen in die Zentralarktis kommt, wie wir sie in den vergangenen Jahren im Dezember und Januar beobachtet haben, und ob diese sogar zu Regen am Nordpol im Winter führen können“, sagt Haas. “ Auch in diesem Fall wären die direkten Beobachtungen vor Ort wertvoll“, sagt Haas.
Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung