Marsmissionen, Geoengineering und Zwitterwesen mit Menschenorganen: Sie gehören nach Ansicht der „Nature“-Redakteure zu den Themen und Ereignissen, die die Wissenschaftswelt im kommenden Jahr bewegen werden. Auch das erste Foto des zentralen Schwarzen Lochs unserer Milchstraße, ein Elektroauto mit Feststoff-Batterien und ein Supraleiter bei Raumtemperatur könnten 2020 kommen.
Das Jahr 2019 hat uns einige wissenschaftliche Highlights beschert – unter anderem das erste Foto eines Schwarzen Lochs. Doch wie wird es im nächsten Jahr weitergehen? Die Redakteure des Fachmagazins „Nature“ haben erste Prognosen darüber gewagt, was uns 2020 in der Welt der Wissenschaft erwarten könnte.
Mars, Satelliten-Internet und Testflüge
In der Raumfahrt ist 2020 das Jahr des Roten Planeten, denn gleich vier Marsmissionen werden unseren Nachbarplaneten ansteuern. Unter ihnen sind der Mars-2020-Rover der NASA, der erstmals einen Mini-Hubschrauber auf den Mars bringt und Probenbehälter mit Marsmaterial für einen späteren Transport zur Erde füllen soll. Außerdem wird ein europäischer Mars-Rover an Bord einer russischen Landesonde und eine erste chinesische Landesonde samt Rover den Roten Planeten besuchen. Die vereinten Arabischen Emirate wollen erstmals eine Orbitersonde zum Mars schicken.
Im Erdorbit könnten schon Ende 2020 gleich zwei der umstrittenen Mega-Satellitennetze in Betrieb gehen. Die aus mehreren hundert Mini-Satelliten bestehenden Formationen OneWeb und Starlink sollen ein weltraumgestütztes, schnelles Internet bringen. Allerdings weckt die enorme Anzahl der dafür nötigen Satelliten auch schwere Bedenken.
In der bemannten Raumfahrt stehen die Erstflüge für zwei Raumkapseln privater Unternehmen bevor. Sowohl die Dragon-Kapsel von SpaceX als auch der Boeing Starliner sollen Anfang 2020 erstmals mit Astronauten an Bord in die Erdumlaufbahn fliegen. Geht alles glatt, wären damit Crew-Wechsel der Internationalen Raumstation ISS auch wieder unabhängig von den russischen Sojus-Transportern möglich.
„Unser“ Schwarzes Loch und Gravitationswellen
In der Astronomie könnten uns 2020 ebenfalls mehrere Highlights erwarten: Dem Team des Event Horizon Teleskops könnte es gelungen sein, nun auch Aufnahmen des zentralen Schwarzen Lochs unserer Milchstraße zu erstellen. Der erdumspannnende Verbund von Radioteleskopen könnte dann erstmals zeigen, wie das rund vier Millionen Sonnenmassen schwere Schwarze Loch Sagittarius A* aussieht und wo sein Ereignishorizont liegt.
Neue Ergebnisse werden auch von den Gravitationswellen-Detektoren LIGO und Virgo erwartet. Der Observatorienverbund hat 2019 bereits mehrere vielversprechende Kandidaten für Kollisionen Schwarzer Löcher mit Neutronensternen detektiert. Nach einer Erhöhung der LIGO-Sensitivität im Herbst 2019 könnten die Detektoren in der aktuellen Beobachtungsperiode vielleicht sogar ganz neue Phänomene „erlauschen“. Mehr Einblick in die 3D-Struktur unserer Milchstraße werden in diesem Jahr zudem neue Daten des Gaia-Satelliten liefern.
Raumtemperatur-Supraleiter und Feststoff-Batterien
In der Physik könnte 2020 einen Durchbruch bei Supraleitern bringen. Denn schon lange suchen Forscher nach Materialien, die auch bei Raumtemperatur Strom verlustfrei leiten können. Im letzten Jahr stellte sich heraus, dass die Metall-Wasserstoffverbindung Lanthanhydrid schon bei „nur“ minus 23 Grad zum Supraleiter wird, wenn man sie hohem Druck aussetzt. Inzwischen arbeiten mehrere Forschergruppen bereits daran, Yttriumhydride zu erzeugen, deren Schwellentemperatur sogar oberhalb des Gefrierpunkts liegen könnte.
Im Energiebereich könnten die Feststoff-Batterien im Jahr 2020 entscheidende Fortschritte machen. Bei diesen Akkus ist der Elektrolyt nicht flüssig, sondern fest. Das ermöglicht eine höhere Energiedichte und Sicherheit und könnte – so hoffen vor allem Autohersteller – Elektroautos eine weit größere Reichweite verleihen als die bisher üblichen Lithium-Ionen-Akkus. Noch allerdings hapert es bei den Feststoff-Batterien an der Lebensdauer und Ladezeit. Dennoch will Toyota im Sommer 2020 den Prototyp eines ersten mit Feststoff-Batterien betriebenen Elektroautos vorstellen.
Synthetische Hefe und Mensch-Tier-Zwitter
In der Biotechnologie könnte 2020 die erste synthetische Hefe entstehen – Zellen mit komplett im Labor zusammengesetztem und maßgeschneidertem Erbgut. Nachdem Forscher 2017 erste Chromosomen der Hefe und 2018 ein komplettes Bakterium auf diese Weise erstellt haben, sollen 2020 alle 16 Chromosomen der Hefe fertig sein – es wäre der erste künstlich zusammengesetzte eukaryotische Organismus. Die Wissenschaftler wollen so künftig maßgeschneiderte Bioreaktoren für medizinische Wirkstoffe oder Biochemikalien erzeugen.
In Japan wollen Stammzellforscher im Jahr 2020 ihre umstrittene Forschung an Mensch-Tier-Zwittern einen Schritt weiterführen. Sie planen, Mäuse- und Schweineembryos mit menschlichen Zellen und Organen zu erzeugen. Ziel ist es, eines Tages so Ersatzorgane zu produzieren. Allerdings ist dieser Ansatz auch unter Wissenschaftlern umstritten, viele halten die Organzucht im Labor für weit vielversprechender und sicherer.
Geoengineering und Tiefsee-Bergbau
Last but not least wird 2020 auch ein entscheidendes Jahr für den Umwelt- und Klimaschutz. Mitte des Jahres wird das UN-Umweltprogramm (UNEP) einen großen Bericht zum Geoengineering veröffentlichen. Im November 2020 steht dann die nächste Weltklimakonferenz an. Wenn dort wieder kaum Fortschritte gemacht werden, steuert die Welt wohl endgültig auf das business-as-usual-Szenario des IPCC zu – mit entsprechend schweren Folgen.
Im August 2020 fällt zudem eine wichtige Entscheidung für den Tiefsee-Bergbau: Die für diese Aktivitäten zuständige International Seabed Authority soll dann offizielle Richtlinien für den Abbau von Rohstoffen am Grund des Ozeans veröffentlichen. Bisher sind zwar schon Lizenzgebiete am Meeresgrund vergeben, ein Abbau ist aber noch nicht erlaubt. (Nature News, doi: 10.1038/d41586-019-03910-9)
Quelle: Nature News, NASA