Astronomie

Neutronenstern-Kollision gibt Rätsel auf

Gravitationswellen zeugen von ungewöhnlich massereicher Verschmelzung

GW190425
Simulation der Neutronenstern-Kollision vom 25. April 2019 – die hohe Gesamtmasse des Systems gibt Rätsel auf. © T. Dietrich/ Nikhef, S. Ossokine, A. Buonanno/ Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, W. Tichy/ Florida Atlantic University und die CoRe-Kollaboration

Schwerer als die Theorie erlaubt: Astronomen rätseln über ein Gravitationswellen-Ereignis, das die Detektoren LIGO und Virgo im April 2019 aufgefangen haben. Denn den Daten zufolge handelt es sich um eine Neutronenstern-Kollision, doch ihre Gesamtmasse ist höher als sie sein dürfte. Ob es sich um Neutronensterne eines neuen Typs handelt, oder ob ein ungewöhnlich kleines Schwarzes Loch beteiligt war, ist bislang offen.

Wenn massereiche Objekte im Kosmos verschmelzen, erschüttert die dabei freiwerdende Energie die Raumzeit – es entstehen Gravitationswellen. Mithilfe von Detektoren wie LIGO und Virgo haben Astronomen inzwischen schon rund ein Dutzend solcher Kollisionen von zwei Schwarzen Löchern detektiert, außerdem eine Kollision von zwei Neutronensternen und möglicherweise sogar die Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch.

Neutronensternkollision
Verschmelzung zweier Neutronensterne (Illustration). © National Science Foundation/LIGO, Sonoma State University, A. Simonnet

Signifikante Erschütterung der Raumzeit

Doch nun berichten die Astronomen von einem Ereignis, das nicht so recht in die bisher bekannten Kategorien zu passen scheint. Entdeckt hat es am Morgen des 25. April 2019 der LIGO-Detektor im US-amerikanischen Livingston, sein Gegenstück in Hanford war gerade offline. „Trotz dieser Einschränkung ist GW190425 ein hochsignifikantes Ereignis, das sich klar vom Hintergrund abhebt“, berichten die Forscher.

Aus den Merkmalen der Gravitationswellen schließen die Astronomen, dass dieses Ereignis in rund 520 Millionen Lichtjahren Entfernung stattgefunden haben muss. Wo genau, ließ sich allerdings wegen der fehlenden Daten des zweiten LIGO-Detektors nicht genau bestimmen. Auch eine Suche nach begleitenden elektromagnetischen Signalen, wie beispielsweise Gamma- oder Röntgenstrahlung, blieb trotz Suche mit mehreren Teleskopen bisher ergebnislos.

Zweite Kollision zweier Neutronensterne

Dennoch konnten die Astronomen bestimmen, was diese Gravitationswellen freigesetzt hat: „Wir haben ermittelt, dass das schwerere der beiden kompakten Objekte eine Masse zwischen dem 1,61- und 2,52-fachen der Sonne hatte, und das zweite Objekt zwischen 1,12 und 1,68 Sonnenmassen“, berichten die Wissenschaftler. Diese Massen sprechen dafür, dass es sich um zwei kollidierende Neutronensterne handelte.

Damit ist es den Astronomen erst zum zweiten Mal gelungen, eine solche Verschmelzung zweier Neutronensterne mittels Gravitationswellen nachzuweisen – ein wichtiger Meilenstein. Denn dies erlaubt es erstmals abzuschätzen, wie häufig ein solches Ereignis im Kosmos vorkommt. Den Berechnungen zufolge könnten jährlich zwischen 250 und 2.810 solche Kollisionen in einem 3,3 Milliarden Lichtjahre großen Ausschnitt des Universums vorkommen.

Unerklärlich hohe Gesamtmasse

Ungewöhnlich jedoch: „Die Massen der Einzelobjekte entspricht der von Neutronensternen, aber die Gesamtmasse des Systems ist für ein Doppel-Neutronenstern ungewöhnlich hoch“, berichtet LIGO-Forscher Surabhi Sachdev von der Pennsylvania State University. Denn den Daten zufolge wiegt das Gesamtsystem 3,4 Sonnenmassen – das sei deutlich schwerer als alle bisher bekannten Doppelsysteme aus zwei Neutronensternen in unserer Milchstraße.

Wie aber ist dies zu erklären? „Diese Abweichung legt nahe, dass die Quelle von GW190425 auf andere Weise entstanden sein dürfte als die bekannten Doppelneutronensterne in der Milchstraße“, konstatieren die Astronomen. Eine Möglichkeit wäre, dass beide Neutronensterne aus Vorläufersternen in extrem engen Orbits gebildet wurden. Alternativ könnte ein solches schweres Doppelsystem auch entstehen, wenn ein Neutronenstern aus einem Nachbarsystem den ursprünglichen Partnerstern ersetzt hat.

Simulation der Neutronenstern-Kollision GW190425.© Numerical Relativity Simulation: T. Dietrich (Nikhef), Wolfgang Tichy (Florida Atlantic University) and the CoRe-collaboration Scientific Visualization: T. Dietrich (Nikhef), S. Ossokine, and A. Buonanno (Max Planck Institute for Gravitational Physics)

Ist doch ein Schwarzes Loch im Spiel?

Doch auch ein anderes Szenario können die Forscher nicht ausschließen: Bei einem oder beiden Objekten könnte es sich um ungewöhnlich leichte Schwarze Löcher handeln. Diese wären dann allerdings weit masseärmer als man es bisher für möglich hielt. „Dieses Szenario würde einen bisher unbekannten Bildungsweg für Doppelsysteme aus Schwarzen Löchern erfordern“, erklären die Wissenschaftler.

Sollte GW190425 tatsächlich auf ein oder zwei Schwarze Löcher zurückgehen, wäre dies daher besonders spannend und aufschlussreich: „Wir könnten mit diesem System in die Massenlücke zwischen Neutronensternen und Schwarzen Löchern vordringen“, erklärt Virgo-Forscher José Font von der Universität Valencia. „In diesem Intervall zwischen 2,5 und fünf Sonnenmassen schien es bisher weder Neutronensterne noch Schwarze Löcher zu geben.“

Szenario noch offen

Noch ist unklar, welches dieser Szenarien zutrifft und warum GW190425 auf ein System mit so ungewöhnlicher Masse zurückgeht. Doch die Astronomen hoffen, künftig noch mehr Gravitationswellen von potenziellen Neutronenstern-Kollisionen einzufangen. Das könnte helfen, eine Erklärung für die ungewöhnlichen Beobachtungen zu finden.

„Verschmelzungen von Doppelneutronensternen gehören zu den interessantesten Quellen für die Gravitationswellenastronomie“, sagt Alessandra Buonanno, Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. „Je mehr solche Ereignisse wir beobachten und untersuchen, desto mehr erfahren wir über die bisher nur wenig verstandene innere Struktur und Zusammensetzung von Neutronensternen und über ihre Masse und wie schnell sie rotieren.“ (The Astrophysical Journal, in press (arXiv:2001.01761); 235. Meeting of the American Astronomical Society)

Quelle: Virgo-Kollaboration, LIGO-Kollaboration, Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik

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