Es wird knapp: Heute Nacht kommt es in der Erdumlaufbahn zu einer Beinahe-Kollision zweier Satelliten. Das gut eine Tonne schwere NASA-Weltraumteleskop IRAS und ein kleiner Militärsatellit werden voraussichtlich in nur 13 bis 87 Metern Entfernung aneinander vorbeifliegen – eine hochgefährliche Situation. Weil aber beide Satelliten längst „tot“ sind, besteht keine Möglichkeit, einzugreifen.
Unser Planet hat ein Müllproblem – nicht nur auf der Oberfläche, sondern auch im Orbit. Denn dort kreisen inzwischen unzählige ausgediente Satelliten, Raketen-Oberstufen und Trümmerteile unterschiedlichster Größe – vom tonnenschweren ESA-Observatorium Envisat bis zu Millionen winzigen Partikeln, wie sie durch Explosionen oder Kollisionen im Orbit entstehen. Immer wieder müssen deshalb aktive Satelliten und auch die Internationale Weltraumstation ISS Ausweichmanöver fliegen.
13 bis 87 Meter Abstand – hoffentlich
Heute Nacht jedoch kommt es zu einer nahen Begegnung, bei der kein Ausweichen mehr möglich ist: Zwei ausgediente und damit „tote“ Satelliten rasen zurzeit in 900 Kilometer Höhe mit hohem Tempo aufeinander zu. Nach Berechnungen der auf Weltraumschrottüberwachung spezialisierten US-Firma LeoLabs werden die beiden Satelliten heute Nacht gegen 00:39 Uhr unserer Zeit über den USA extrem knapp aneinander vorbeifliegen – zwischen ihnen liegen nur 13 bis 87 Meter Abstand. Eine erste Kalkulation hatte sogar nur 15 bis 30 Meter Abstand ergeben.
„Raumfahrzeuge haben schon Ausweichmanöver bei 60 Kilometern Abstand geflogen“, kommentiert Alice Gorman von der Flinders University in Science Alert. „Ich würde sagen, dass dies einer der gefährlichsten potenziellen Kollisionen ist, die wir seit längerem gesehen haben.“ Nach Angaben von LeoLabs liegt das Risiko für eine Kollision bei 1.000 zu 1.
David trifft Goliath
Eines der beiden Objekte auf Beinahe-Kollisionskurs ist das gut eine Tonne schwere NASA-Weltraumteleskop IRAS (Infrared Astronomical Satellite). Der 1983 gestartete Satellit war das erste Infrarot-Weltraumteleskop überhaupt, blieb aber nur ein Jahr lang in Betrieb. Seither kreist er „tot“ im Orbit. Das zweite Objekt ist ein 1967 von der US-Airforce lancierter Testsatellit namens GGSE-4. Er wiegt nur rund 85 Kilogramm.
Dass zwei komplette Satelliten im Orbit auf Fast-Kollisionskurs sind, ist ein – noch – eher seltenes Ereignis. Denn wenn zumindest einer von ihnen noch funktionsfähig ist, kann ein Ausweichmanöver den Zusammenstoß verhindern. Weit häufiger sind nahe Begegnungen oder Kollisionen von einem Satelliten mit einem kleineren Trümmerteil.
2/ On Jan 29 at 23:39:35 UTC, these two objects will pass close by one another at a relative velocity of 14.7 km/s (900km directly above Pittsburgh, PA). Our latest metrics on the event show a predicted miss distance of between 15-30 meters. pic.twitter.com/Hlb1KeQ50U
— LeoLabs, Inc. (@LeoLabs_Space) January 27, 2020
Neue Trümmerwolke um die gesamte Erde
Sollte es zu einer Kollision dieser beiden Satelliten kommen, wären die Folgen erheblich. Denn sie rasen mit einer relativen Geschwindigkeit von 14,7 Kilometern pro Sekunde aufeinander zu. Bei einem Aufprall in diesem Tempo würde der kleinere Satellit wahrscheinlich vollständig zerstört. „Dies würde tausende von neuen Schrottteilen erzeugen, die Jahrzehnte im Orbit bleiben“, erklärt Dan Ceperly von LeoLabs gegenüber Livescience. „Dieser Schrott breitet sich aus und bildet einen weiteren Trümmergürtel um die Erde.“
Das IRAS-Weltraumteleskop würde die Kollision vermutlich überstehen, aber ebenfalls einige Schäden davontragen, so die Einschätzung der Experten. Auch dabei könnten aber weitere Trümmerstücke freiwerden. „Diese neuen Trümmerwolken wären eine Gefahr für alle Satelliten auf ähnlicher Höhe und für jedes Raumfahrzeug, das durch diese Zone hindurchfliegen muss“, sagt Ceperley.
Was tun gegen den Weltraumschrott?
„Ereignisse wie dieses unterstreichen die Notwendigkeit, ausgediente Satelliten zeitnah aus dem Orbit zu entfernen“, schreibt LeoLabs auf Twitter. Dies gilt insbesondere angesichts geplanter Mega-Konfigurationen wie Starlink oder Oneweb, die mittels tausender neuer Minisatelliten ein weltraumgestütztes Breitband-Internet lancieren wollen. Experten befürchten schon länger, dass damit das Risiko für Kollisionen im Orbit und für die Bildung neuen Weltraumschrotts exponentiell ansteigen könnte.
Um den schon im Orbit kreisenden Weltraumschrott zu verringern, hat die europäische Weltraumagentur ESA bereits eine „Müllsammel-Mission“ in Auftrag gegeben: 2025 soll eine Einfangsonde in die Umlaufbahn starten und dort eine rund 100 Kilogramm schwere Raketenoberstufe einfangen und aus dem Orbit bugsieren.
Quelle: LeoLabs, Science Alert, Livescience