Archäologie

Ur-Amerikaner waren überraschend verschieden

Vier in Mexiko gefundene Schädel von frühen Amerikanern geben Rätsel auf

Schädel aus Quintana Roo
Dieser rund 10.000 Jahre alte Schädel und drei weitere werfen ein ganz neues Licht auf die ersten Bewohner Amerikas. © Jeronimo Aviles

Unerwartete Vielfalt: Die ersten Bewohner Amerikas waren unterschiedlicher als gedacht – und nur einige sahen den heutigen Indianern ähnlich. Stattdessen glichen einige eher Europäern, andere dagegen Asiaten oder Inuit, wie vier 9.000 bis 13.000 Jahre alte Schädel aus Mexiko belegen. Obwohl diese Funde im selben Höhlensystem gefunden wurden, stammen sie von Menschen mit ganz unterschiedlichen Gesichtszügen. Warum, ist bislang unbekannt.

Amerika war der letzte Kontinent, der von uns Menschen besiedelt wurde: Erst vor rund 20.000 bis 15.000 Jahren zogen die Vorfahren der Indianer über die Bering-Straße nach Amerika. Doch woher diese ersten Ur-Amerikaner kamen, ob ihre Einwanderung einmalig oder in mehreren Wellen ablief und auf welcher Route sie weiter nach Süden zogen, ist umstritten. Auch welche Ur-Amerikaner dann von Nord- nach Südamerika weiterzogen, ist bislang nur in Teilen geklärt.

Schädel
Die vier Schädel aus Quintana Roo. © Hubbe et al. / PloS ONE, CC-by-sa 4.0

Überflutete Karsthöhle als Schädelstätte

Jetzt liefern vier präkolumbische Schädel aus Mexiko neuen Stoff für Diskussionen. Sie stammen von Menschen, die vor 9.000 bis 13.000 Jahren im Gebiet des heutigen Bundestaats Quintana Roo lebten. „Sie gehören damit zu den ältesten bekannten Menschenfossilien des Kontinents“, erklären Mark Hubbe von der Ohio State University und seine Kollegen. Gefunden wurden die Schädel vor einigen Jahren in einer überfluteten Karsthöhle nahe der Stadt Tulum.

Für ihre Studie unterzogen die Forscher alle vier Schädel einer Computertomografie und analysierten mithilfe der digitalisierten Modelle die morphologischen Merkmale. Diese Daten verglichen sie mit denen von modernen Vergleichspopulationen aus der ganzen Welt. Dadurch konnten sie ermitteln, mit welchem Menschentyp die vier Ur-Amerikaner aus Quintana Roo am ehesten Ähnlichkeit hatten.

Europäisch, arktisch und asiatisch

Das unerwartete Ergebnis: Obwohl die vier Schädel einander zeitlich und räumlich so nahe liegen, sind sie überraschend verschieden. Der älteste Schädel stammt von einer jungen Frau und zeigt starke Übereinstimmungen mit den Inuit Grönlands und Alaskas. Gleiches gilt für einen der beiden jüngeren Schädel, der von einem Mann im mittleren Alter stammt, wie die Forscher berichten. Beide Ur-Amerikaner unterscheiden sich damit deutlich von denen der nordamerikanischen Indianer.

Noch überraschender ist der zweitälteste Schädel: Sein männlicher Träger zeigte vor rund 13.000 Jahren erstaunlich europäische Gesichtszüge. „El Pit gehört zum großen Cluster europäischer Populationen und zeigt keinerlei starke Affinitäten mit frühen oder späten amerikanischen Populationen“, berichten Hubbe und sein Team. „Seine Schädeldecke hat eine ganz andere Morphologie als die restlichen Quintana Roo-Exemplare.“

Dies sei das erste Mal, dass so unterschiedlich aussehende Relikte früher Ur-Amerikaner auf so engem Raum gefunden wurden, sagen die Forscher.

Woher kommen diese Unterschiede?

Ihrer Ansicht nach demonstrieren die Schädelfunde, dass die frühen Bewohner Amerikas in ihrem Aussehen sehr verschieden waren. „Die ersten Amerikaner waren weit komplexer und vielfältiger als wir dachten“, sagt Hubbe. Dies würde auch frühere „Ausreißer“-Funde erklären, wie den berühmten „Kennewick Man„. Auch diese rund 8.500 Jahre alten Relikte entsprechen nicht dem klassischen Typus der nordamerikanischen Indianer. Stattdessen zeigt der Schädel eher europäische und polynesische Züge – obwohl er genetisch eng mit heutigen Indianern verwandt ist.

Doch warum die Ur-Amerikaner so unterschiedlich aussahen und wer ihre Vorfahren waren, ist noch ungeklärt. Denn aus den morphologischen Ähnlichkeiten allein lässt sich die Abstammung nicht ablesen, wie die Forscher betonen: „Starke Ähnlichkeiten beispielsweise von El Pit mit europäischen Populationen belegen noch nicht, dass es eine direkte Migration von Europa nach Amerika gab“, so Hubbe und sein Team. Die Funde sprechen aber dafür, dass Nordamerika von verschiedenen Menschengruppen besiedelt wurde.

Nur einige zogen nach Südamerika weiter

Und noch etwas legen die Ergebnisse nahe: Zwischen den Bewohnern Nord- und Südamerikas gab es schon vor 10.000 Jahren deutliche Unterschiede. Denn die bisher in Südamerika gefundenen Fossilien zeigen ein weit einheitlicheres Aussehen als die Schädel aus Quintana Roo oder von anderen nordamerikanischen Fundstellen. „Das deutet darauf hin, dass die Menschengruppen, die Südamerika besiedelten, nur einen kleinen Ausschnitt der biologischen Vielfalt der nordamerikanischen Populationen darstellten“, sagen die Forscher.

Die Ausbreitung der Menschen auf dem amerikanischen Kontinent ist damit weit komplexer und auch regional unterschiedlicher als lange angenommen. „Was immer wir über die Besiedlung Amerikas bisher dachten, ist wahrscheinlich nicht die ganze Geschichte“, sagt Hubbe. „Wir haben darüber noch eine Menge zu lernen.“ (PloS ONE, 2020; doi: 10.1371/journal.pone.0227444)

Quelle: PloS, Ohio State University

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