Out of Africa: Über die Hälfte aller Chamäleon-Arten lebt auf Madagaskar – doch die Wiege der Echsen könnte auf dem afrikanischen Festland gestanden haben. Dies legt nun ein Fossilfund aus Kenia nahe. Der 18 Millionen Jahre alte Chamäleon-Schädel spricht dafür, dass sich zumindest einige Gattungen von Afrika nach Madagaskar ausbreiteten. Sie könnten demnach auf „schwimmenden Flößen“ auf die Insel getrieben worden sein.
Chamäleons sind für ihre flinken Zungen, ihre unabhängig voneinander steuerbaren Augen und vor allem für ihre virtuosen Farbwechsel bekannt. Die Echsen können ihre Farbe nicht nur blitzschnell ändern, sondern zeigen auch komplexe Muster und Abfolgen. In freier Wildbahn lassen sich diese faszinierenden Tiere zum Beispiel in Afrika, Südindien oder dem Mittelmeerraum beobachten. Über die Hälfte aller Arten kommt dabei auf der Insel Madagaskar vor, viele Spezies sind dort endemisch.
„Lange war man daher davon ausgegangen, dass die Wiege der Chamäleons auf Madagaskar liegt“, erklärt Thomas Lehmann vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. Molekularbiologische Analysen legten später jedoch einen anderen Ursprung nahe. Demnach stammen die Echsen vom afrikanischen Festland und breiteten sich von dort nach Osten in Richtung Madagaskar aus. Welche Theorie stimmt nun?
Einzigartig gut erhalten
„Chamäleon-Fossilien – die einzigen direkten Belege im Hinblick auf die frühe Evolution dieser Tiere – sind leider rar. Es fehlt somit ein Schlüsselelement, um dieses Rätsel lösen zu können“, konstatieren Lehmann und seine Kollegen um Erstautor Andrej Cernansky von der Comenius-Universität in Bratislava. Doch jetzt ist den Forschern ein wichtiger Schritt hin zur Lösung des Rätsels gelungen.
Für seine Studie untersuchte Cernanskys Team das 18 Millionen Jahre alte Fossil eines Chamäleons aus Kenia. Der Schädel zählt zu den ältesten Chamäleon-Funden weltweit und ist vor allem aufgrund seines Erhaltungszustands einzigartig. Es handelt sich um den einzigen vollständig erhaltenen Chamäleon-Schädel aus dem frühen Miozän – bisher wurden die teils noch von Stein verdeckten fossilen Strukturen allerdings nur oberflächlich analysiert.
Überraschende Zuordnung
Das hat sich nun geändert: Mithilfe der Mikro-Computertomografie konnten die Wissenschaftler das Fossil erstmals detailliert unter die Lupe nehmen und seine Position im Stammbaum der Chamäleons bestimmen. Die Ergebnisse legen nahe, dass es sich um eine bisher unbekannte Art aus der Gattung Calumma handelt. „Das ist insofern sehr überraschend, weil heutige Tiere dieser Gattung ausschließlich auf Madagaskar leben“, sagt Cernansky.
Calumma benovsky, wie die Forscher die neue Spezies tauften, zeigt nun jedoch: In der Vergangenheit lebten diese Chamäleons auf dem afrikanischen Festland. Das wiederum spricht nach Ansicht des Teams dafür, dass sich die Tiere tatsächlich von dort nach Madagaskar ausbreiteten. „Dieses Fossil legt zumindest für die Gattung Calumma einen Ursprung auf dem kontinentalen Afrika nahe“, erklären Cernansky und seine Kollegen.
Baumstämme als Transportmittel
Doch wie gelangten die Chamäleons von Kenia nach Madagaskar, das sich bereits vor 100 Millionen Jahren vom afrikanischen Kontinent abspaltete? „Wir gehen davon aus, dass die Chamäleons auf schwimmenden Inseln, Flößen aus Baumstämmen und Ästen, nach Madagaskar kamen“, sagt Lehmann. „Solche Transportwege sind bereits von verschiedenen Tierarten bekannt – bei einer baumlebenden Art erscheint dieses Szenario zudem sehr wahrscheinlich.“
Die damals vorherrschenden Meeresströmungen hätten die Echsen von Afrika automatisch zu dem Inselstaat gebracht. „Strömungen in östliche Richtung von der afrikanischen Küste nach Madagaskar sind für die Zeit zwischen dem Paläozän und dem frühen Miozän gut dokumentiert“, erklären die Wissenschaftler. Zudem stimme dieses Szenario mit den Ergebnissen aus früheren molekularen Analysen überein.
„Out of Madagaskar“ unwahrscheinlich
Eine Ausbreitung von Osten nach Westen erscheint im Gegensatz dazu unwahrscheinlich. Denn Chamäleons sind eher schlechte Schwimmer und wären gegen die damals vorherrschende Strömung wohl kaum angekommen, wie die Forscher berichten. Ein „Out of Madagaskar“-Szenario hätte ihnen zufolge daher eine Landbrücke erfordert.
„Doch so eine Brücke hätte auch die Ausbreitung größerer Tiere wie Elefanten nach Madagaskar ermöglicht. Dieses Szenario erklärt weder die Abwesenheit großer terrestrischer Säugetiere, noch die geringe Zahl an Säugetier-Familien, die heute auf der Insel leben“, schließt das Team.
Umgekehrte Strömung
Später kehrten sich die Meeresströmungen übrigens um – von Madagaskar in Richtung Afrika. Weitere Reisen nicht flug- oder schwimmfähiger Tiere zu der Insel wurden somit quasi unmöglich. „Dies könnte die Entwicklung des Endemismus bei landlebenden Tieren auf der Insel gefördert haben“, so das Fazit der Wissenschaftler. (Scientific Reports, 2020; doi: 10.1038/s41598-019-57014-5)
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen