Werden unsere Entscheidungen von unbewussten Hirnsignalen manipuliert? Gegen diese umstrittene These spricht nun ein Experiment. Demnach ist das Hirnsignal, das unseren Entscheidungen vorausgeht, keine reine Vorwegnahme unserer Handlungen, sondern hat körperliche Ursachen. Denn das Timing unserer Aktionen und das Bereitschaftspotenzial sind mit unserer Atmung verknüpft, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Wie frei sind wir in unseren Entscheidungen? Werden wir von unserem Gehirn womöglich nur ferngesteuert? Seit Jahrzehnten streiten Hirnforscher, Psychologen und Philosophen über diese Frage. Anlass dafür ist das sogenannte Bereitschaftspotenzial – ein charakteristisches Hirnsignal, das unser Handeln anzeigt, noch bevor wir uns einer Entscheidung bewusst sind. Dieses Signal tritt rund 500 Millisekunden vor der Aktion auf und rund 200 Millisekunden bevor wir uns subjektiv zum Handeln entschließen.
Vorwegnahme oder Zufall?
Was aber bedeutet dies? Von einigen Wissenschaftlern wird das Bereitschaftspotenzial als Indiz dafür gewertet, dass unser Gehirn unsere bewussten Entscheidungen vorwegnimmt. Der freie Wille wäre demnach nicht wirklich frei, sondern abhängig von einer unbewussten Vorentscheidung unseres Gehirns. Allerdings gibt es inzwischen Hinweise darauf, dass wir diese Vorentscheidung noch umstoßen können – zumindest bis zu einem gewissen Punkt.
Doch es gibt noch eine andere Sichtweise. Nach dieser ist das Bereitschaftspotenzial gar nicht direkt mit unserer Handlungsabsicht verknüpft, sondern eher eine zufällige Fluktuation des neuronalen „Hintergrundrauschens“. Bisher konnten die Vertreter dieser Meinung aber nicht erklären, warum dieses Signal immer ausgerechnet vor einer Entscheidung auftritt. Denn wäre es zufällig, müsste es auch mal fehlen.
Freier Wille im Test
Genau an diesem Punkt setzt nun die Studie von Hyeong-Dong Park von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und seinem Team an. Sie haben überprüft, ob dieses Potenzial mit Signalen der körperlichen Eigenwahrnehmung verknüpft sein könnte – beispielsweise Hirnwellen, die von der Atmung oder dem Herzschlag beeinflusst werden. Wäre das der Fall, könnte dies den eher zufälligen Charakter des Potenzials stützen.
Im Experiment ließen die Forscher ihre Probanden zunächst in selbst gewählten Abständen eine Taste drücken und registrierten dabei ihre Hirnströme, sowie ihre Atmung und ihren Herzschlag. Eine zweite Gruppe von Teilnehmern replizierte den klassischen Libet-Test: Sie sahen eine Uhr mit einem auf dem Ziffernblatt kreisenden roten Punkt. Auch sie sollten die Taste in selbst gewählten Intervallen klicken, dabei aber darauf achten, wann sie den Drang zu klicken verspürten.
Atmung beeinflusst Zeitpunkt des Handelns
Es zeigte sich: Jeweils kurz vor dem Klicken tauchte im EEG das Bereitschaftspotenzial auf – wie erwartet. Doch der Zeitpunkt, an dem die Probanden die Taste klickten, war weniger zufällig als sie selbst dachten. „Die Teilnehmer drückten die Taste weit häufiger während ihrer Ausatmungsphase als beim Einatmen“, berichten Park und seine Kollegen. „Das Atemmuster unserer Probanden war systematisch mit ihren bewussten Bewegungen verknüpft.“ Die Teilnehmer waren sich dieses Timings jedoch nicht bewusst. Beim Herzschlag gab es diese Zusammenhänge nicht.
Die EEG-Auswertungen ergaben zudem, dass auch das Bereitschaftspotenzial eng mit dem Atemrhythmus verknüpft war. Die Amplitude des Signals änderte sich je nach Phase. „Das Bereitschaftspotenzial reflektiert demnach zumindest in Teilen kortikale Verarbeitungsprozesse, die mit der Atmung verknüpft sind“, sagt Park. „Die Atmung beeinflusst damit einen fundamentalen Aspekt des menschlichen Bewusstseins und der Bewegungskontrolle – das absichtliche Handeln.“
Der Wille ist frei, das Timing aber nur bedingt
Das Spannende daran: Damit spiegelt das Bereitschaftspotenzial nicht mehr allein die unbewusste Vorbereitung absichtlichen Handelns wider, wie die Forscher erklären. Stattdessen ist es auch von unbewussten körperlichen Vorgängen beeinflusst. Dies könnte die These stützen, nach der das Bereitschaftspotenzial keine direkte Vorwegnahme unserer Entscheidungen ist, sondern auf Fluktuationen der neuronalen Aktivität zurückgeht – die wiederum durch interne körperliche Prozesse wie die Atmung geprägt sind.
Sollte sich dies bestätigen, dann wäre dies ein Indiz dafür, dass unser freier WiIle doch freier ist als lange angenommen. Doch das Timing unseres Handelns könnte dennoch einer unbewussten Manipulation unterliegen. Denn wie die Experimente belegen, spielen dafür körperliche Vorgänge wie die Atmung eine Rolle. „Das könnte nur ein Beispiel dafür sein, wie Akte des freien Willens eine Geisel von verschiedenen inneren Zuständen unsere Körpers sind – und von der Verarbeitung dieser Zustände im Gehirn“, sagt Seniorautor Olaf Blanke vom EPFL. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-019-13967-9)
Quelle: Ecole Polytechnique Federale de Lausanne (EPFL)