Schleimige Waffen: Manche Quallen können scheinbar ohne Berührung fiese Hautirritationen hervorrufen. Wie ihnen das gelingt, haben Forscher nun herausgefunden. Demnach sondern bestimmte Mangrovenquallen Schleim mit giftiger Ladung ins Wasser ab. In der schleimigen Masse befinden sich kugelförmige Strukturen, die unter anderem giftige Nesselzellen enthalten. Damit scheint nun auch klar, was hinter dem rätselhaften Phänomen des sogenannten stechenden Wassers steckt.
Quallen sind faszinierende Wesen: Die urtümlichen Nesseltiere haben im Laufe ihrer Evolution nicht nur fast alle Winkel der Weltmeere erobert, sondern sich auch an das Leben im Süßwasser angepasst. Ihre energiesparende Schwimmweise per Rückstoßantrieb gehört zu den effektivsten im ganzen Tierreich und auch optisch machen die „Glibberwesen“ einiges her: Mit ihren teils bunten Tentakeln und skurrilen Formen sind viele Quallen wirklich schön anzusehen.
Wasserbesuch mit Folgen
Beliebt sind die Tiere bei den meisten Menschen trotzdem nicht. Denn kommt man ihnen zu nahe, können je nach Spezies rote Quaddeln und sogar Lähmungserscheinungen die Folge sein. Kurzum: Viele Quallen sind giftig. Die als Mangrovenqualle bekannte Cassiopea xamachana gehört dabei auf den ersten Blick zu den eher harmlosen Exemplaren. Sie schwebt nämlich nicht durchs Wasser, sondern setzt sich kopfüber am Meeresboden fest. Dank dieser stationären Lebensweise können Taucher und andere Wasserbesucher den Tieren leicht aus dem Weg gehen.
Dennoch kommt es in von Cassiopea-Quallen besiedelten Gebieten immer wieder zu merkwürdigen Zwischenfällen: Menschen berichten von juckender, stechender Haut, wenn sie sich nur in der Nähe der Nesseltiere aufhalten. Wie lässt sich dieses als „stechendes Wasser“ bezeichnete Phänomen erklären?
Wer steckt dahinter?
Cheryl Ames vom US Naval Research Laboratory in Washington und ihre Kollegen haben sich nun aufgemacht, dieses Geheimnis endlich zu lüften. Bekannt war bereits, dass die Magrovenquallen von Zeit zu Zeit Schleim ins Wasser absondern. Er könnte als Verursacher der Symptome in Frage kommen. Ebenso gut könnten nach Meinung von Experten aber auch abgetrennte Teile von Quallententakeln, Fischläuse, Anemonen oder andere giftige Meeresbewohner hinter dem stechenden Wasser stecken.
Was stimmt nun? Auf der Suche nach des Rätsels Lösung durchforsteten die Forscher zunächst die wissenschaftliche Literatur nach Hinweisen auf das mysteriöse Phänomen. Tatsächlich stießen sie dabei immer wieder auf Erwähnungen des Schleims, den Cassiopea xamachana absondert. Darin scheinen sich demnach auffällige Zellansammlungen zu befinden.
Schleimige Waffen
Dieser Spur folgend nahmen die Wissenschaftler den Schleim eines Cassiopea-Exemplars aus einem Aquarium genauer unter die Lupe. Mikroskopische Untersuchungen und andere bildgebende Verfahren offenbarten: In dem Schleim der Qualle zirkulieren kleine ballähnliche Gebilde. Es handelt sich um Ansammlungen von Zellen, die Ames und ihre Kollegen Cassiosome nennen.
Das Entscheidende: Diese innen hohlen Kugeln sind außen unter anderem mit Nesselzellen bedeckt, den Nematocyten. Diese enthalten mit Gift gefüllte Kapseln und finden sich normalerweise vorwiegend in den Tentakeln von Quallen. Wie die Forscher berichten, sind die Cassiosome bei den Cassiopea-Quallen mit drei unterschiedlichen Toxinen gefüllt. Im Test konnten sie unter anderem erfolgreich Salinenkrebse töten.
Nützlich beim Beutefang
Für die Wissenschaftler ist damit klar: Es sind diese speziellen Gebilde im Schleim der Mangrovenqualle, die für das stechende Wasser verantwortlich sind. Sie fungieren offenbar als „mobile Granaten“. „Diese Entdeckung war eine Überraschung und lieferte die lange erwartete Erklärung für das rätselhafte Phänomen. Jetzt können wir allen Schwimmern sagen: Das stechende Wasser wird tatsächlich durch die Cassiopea-Quallen verursacht“, konstatiert Ames.
Wofür genau die Nesseltiere ihren bewaffneten Schleim nutzen, ist dem Team zufolge noch ungeklärt. Naheliegend scheint jedoch, dass er ihnen beim Beutefang hilft. Denn die Mangrovenquallen werden zwar größtenteils durch Photosynthese betreibende Algen-Symbionten mit Nährstoffen versorgt. Doch wenn die Photosynthese bei Lichtmangel langsamer wird, müssen sie zusätzliches Futter aufnehmen – mithilfe des Schleims können sie dann kleinen Organismen in ihrer Nähe den Garaus machen und sie aus dem Wasser fischen, so die Vermutung.
Nicht die einzige
Interessanterweise stellten die Forscher fest, dass Cassiopea xamachana offenbar nicht die einzige Qualle mit Cassiosomen ist. Sie identifizierten auch bei vier eng verwandten Arten solche Gebilde. Diese gehören wie Cassiopea alle zur Ordnung der Wurzelmundquallen (Rhizostomeae). Eine Spezies aus der Schwesterlinie der Fahnenmundquallen hatte diese Cassiosome dagegen nicht, wie die Untersuchungen zeigten.
Ames und ihre Kollegen vermuten daher, dass sich die Entwicklung dieser besonderen Vergiftungsstrategie auf ein einziges evolutionäres Ereignis zurückführen lässt und nicht mehrmals unabhängig voneinander entstanden ist. „Die Gifte der Quallen sind insgesamt schlecht erforscht. Unsere Arbeit erweitert unser Wissen über die interessanten und teils einzigartigen Wege, wie die Nesseltiere ihre Toxine nutzen“, schließt Mitautorin Anna Klompen vom Smithsonian in Washington. (Communications Biology, 2020; doi: 10.1038/s42003-020-0777-8)
Quelle: Nature Press/ Smithsonian