Quantenphysik in der „Gegenwelt“: Physiker am Forschungszentrum CERN haben erstmals die sogenannte Lamb-Verschiebung beim Anti-Wasserstoff nachgewiesen – einen vor 70 Jahren bei normalen Atomen entdeckten Quanteneffekt. Dabei verursachen Quantenfluktuationen im Vakuum winzige Abweichungen im Energiezustand des Wasserstoffs. Der Nachweis dieser Verschiebung bei Antimaterie belegt nun, dass auch sie diese Quanteneffekte spürt, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Obwohl beim Urknall gleiche Mengen Materie und Antimaterie entstanden, dominiert im heutigen Universum die Materie. Das aber lässt sich nur damit erklären, dass es subtile Unterschiede im Verhalten beider Teilchensorten geben muss. Bisher jedoch scheinen Teilchen und Antiteilchen in den grundlegenden Merkmalen übereinzustimmen – von der starken Kernkraft über Magnetverhalten und Masse-Ladungsverhältnis bis hin zum Spektrum oder dem Interferenzmuster am Doppelspalt. Einzig bei bestimmten Zerfällen gibt es erste Hinweise auf Differenzen.
Subtile Verschiebung
Jetzt haben Physiker der ALPHA-Kollaboration am Forschungszentrum CERN ein weiteres Merkmal von Antiteilchen untersucht: Sie testeten, ob Anti-Wasserstoff einen sogenannte Lamb-Verschiebung zeigt. Dieses 1947 von Forschern um Willi Lamb entdeckte Eigenheit tritt auf, wenn Wasserstoff eines bestimmten Energiezustands dem Vakuum ausgesetzt wird. Dann beobachtet man winzige Abweichungen zwischen den Energiezuständen 2S1/2 und 2P1/2, die gängiger Theorie nach eigentlich übereinstimmen müssten.
„Der Effekt ist in Bezug auf die Energie sehr klein, aber die Entdeckung dieser Lamb-Verschiebung hat eine entscheidende Rolle für unser Verständnis des Universums gespielt“, erklärt Takamasa Momose von der University of British Columbia. Der Grund: Diese Verschiebung belegt die Quantenfluktuation im Vakuum, durch die selbst im scheinbar leeren Raum ständig Paare von Teilchen und Antiteilchen entstehen und wieder verschwinden. Weil sie auch auf die Elektronen des Wasserstoffs wirken, erzeugen sie die Lamb-Verschiebung.
Anti-Wasserstoff auf dem Prüfstand
Die große Frage aber war, ob dieser Quanteneffekt auch bei Antimaterie auftritt. Genau dies haben nun die Physiker der ALPHA-Kollaboration untersucht. Dafür kombinierten sie Antiprotonen und Positronen zu Anti-Wasserstoff. Diese kurzlebigen Anti-Atome hielten sie in einer Vakuumkammer durch einen Magnetkäfig von normaler Materie fern und brachten sie mit Laserpulsen auf das gewünschte Energieniveau.
Beim Zurückfallen des Positrons in niedrigere Energieniveaus senden die Anti-Atome ein Photon aus, werden aus der Magnetfalle ausgeschleudert und durch Kontakt mit Materie ausgelöscht. Aus der dabei freigesetzten Energie und den Photonen konnten die Forscher ermitteln, welche Energien die Anti-Wasserstoffatome in den anregten Zuständen einnahmen – und so die Lamb-Verschiebung prüfen.
Übereinstimmung mit Materie auch beim Quanteneffekt
Das Ergebnis: Auch beim Anti-Wasserstoff tritt die subtile, aber nachweisbare Abweichung zwischen dem 2S1/2– und dem 2P1/2-Zustand auf. „Innerhalb der in unserem Experiment erreichten Genauigkeit ist die Lamb-Verschiebung des Anti-Wasserstoffs identisch mit der des Wasserstoffs“, berichtet Momose. Zumindest bis auf elf Prozent stimmt demnach die Lamb-Verschiebung bei beiden Atomsorten überein.
„Dies bestätigt, dass ein Schlüsselsegment der Quanten-Elektrodynamik sowohl für Materie wie für Antimaterie gilt“, sagt Momose. Sein Kollege Makoto Fujiwara vom TRIUMF-Beschleunigerzentrum in Vancouver ergänzt: „Die Beobachtung der Lamb-Verschiebung bei Wasserstoff war ein Meilenstein der modernen Physik. Diesen Effekt auch beim Anti-Wasserstoff nachzuweisen, davon haben viele Antimaterie-Forscher geträumt. Wir sind begeistert, dass wir das jetzt geschafft haben.“
Gleichzeitig bedeutet dies jedoch, dass die Suche nach den fundamentalen Unterschieden zwischen Materie und Antimaterie weitergeht. Die Physiker des ALPHA-Experiments am CERN hoffen, diesen durch weitere Untersuchungen am Anti-Wasserstoff auf die Spur zu kommen. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2006-5)
Quelle: CERN, University of British Columbia