Katastrophe überlebt: Der Ausbruch des Supervulkans Toba vor 74.000 Jahren könnte für die Menschheit weniger apokalyptisch gewesen sein als vielfach angenommen. Denn Werkzeugfunde bestätigen, dass menschliche Populationen in Indien dieses Ereignis problemlos überdauerten. Sie lebten während und nach der Eruption offenbar ungestört weiter. Damit ergeben sich auch neue Einblicke in die Ausbreitung unserer Spezies von Afrika nach Asien und Australien, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Als vor 74.000 Jahren der Supervulkan Toba auf Sumatra ausbrach, hatte das globale Auswirkungen: Asche und Staub führten damals zu einem sogenannten vulkanischen Winter, der jahrelang anhielt und die Erdoberfläche abkühlte – mit möglicherweise katastrophalen Folgen. Auch unsere Vorfahren könnten damals nur knapp ihrer Ausrottung entgangen sein.
Einige Forscher vermuten, dass die Populationen des frühen Homo sapiens stark schrumpften und unsere Vorfahren nur in einigen Refugien in Afrika überlebten. Die Kaltphase stand demnach unter anderem ihrer weiteren Ausbreitung nach Asien und Australien im Weg. Wie stark sich der Toba-Ausbruch wirklich auf die Menschen auswirkte, ist allerdings umstritten.
Zeugnis menschlicher Besiedlung
„Zentral für diese Debatte ist auch die Frage, ob Vertreter des Homo sapiens bereits vor dem Toba-Ausbruch in Indien ankamen“, erklären Chris Clarkson von der University of Queensland in St. Lucia und seine Kollegen. Der Subkontinent gilt als Schlüsselregion für die Kolonisierung von Australasia durch den anatomisch modernen Menschen und könnte damit auch wertvolle Hinweise auf die Folgen der Eruption liefern – doch bisher fehlte es an aussagekräftigen archäologischen Funden.
Umso spannender ist daher die Entdeckung, von der das Team um Clarkson nun berichtet: An der Fundstelle Dhaba im indischen Son-Tal zeugen Steinwerkzeuge von der Anwesenheit menschlicher Bewohner. Diese Artefakte sind zwischen 80.000 und 40.000 Jahre alt und stammen damit aus der Zeit vor, während und nach der Toba-Eruption.
Werkzeuge des Homo sapiens?
Wie die Wissenschaftler berichten, ist bei den Steinwerkzeugen eine deutliche Entwicklung zu erkennen. Nutzten die Menschen in Dhaba zunächst grob bearbeitete Feuersteine, produzierten sie später immer kleinere und raffiniertere Werkzeuge von nur wenigen Zentimetern Länge. Das Entscheidende: „Die Steinwerkzeuge ähneln den Werkzeugen, die der Homo sapiens zur selben Zeit in Afrika nutzte“, sagt Clarkson. Außerdem glichen einige von ihnen den frühesten bekannten Artefakten aus Australien.
„Die Dhaba-Funde fungieren als wichtige Brücke zwischen Regionen mit ähnlicher Archäologie im Osten und im Westen“, erklärt das Team. Was bedeutet das konkret? Die Forscher gehen angesichts der frappierenden Ähnlichkeit davon aus, dass es sich bei den Werkzeugen von Dhaba um Produkte früher Vertreter unserer Spezies handeln könnte.
Katastrophe überlebt
Dies bestätigt nicht nur genetische und fossile Funde, nach denen der Homo sapiens Asien bereits vor mindestens 60.000 Jahren erreicht hatte. Die lückenlose archäologische Überlieferung deutet auch darauf hin, dass die Dhaba-Region kontinuierlich bewohnt war. „Die Funde liefern Belege für eine langfristige menschliche Besiedlung“, konstatieren Clarkson und seine Kollegen.
„Die Tatsache, dass die Werkzeuge zum Zeitpunkt des Vulkanausbruchs nicht verschwanden oder sich die Technologie danach dramatisch veränderte, spricht dafür, dass die lokalen Populationen die sogenannte Katastrophe überlebten“, ergänzt Clarkson. Demnach scheinen die Menschen in Indien Ascheregen und Abkühlung problemlos überdauert zu haben – obwohl die Toba-Eruption erwiesenermaßen auch dort Spuren hinterließ. So fanden Forscher im Son-Tal bereits in den 1980er Jahren Asche von diesem Ereignis.
Nur ein milder Vulkanwinter
Alles in allem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass der Ausbruch des Supervulkans vor 74.000 Jahren für unsere Vorfahren weniger apokalyptisch war als gedacht. Dies spricht nach Ansicht der Wissenschaftler auch für die Anpassungsfähigkeit der Menschen. Offenbar konnten die Jäger und Sammler im Son-Tal flexibel auf Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren. „Die archäologischen Funde zeugen von einer bemerkenswerten Resilienz“, kommentiert Mitautor Michael Petraglia vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.
Gleichzeitig zeichnet sich damit ab, dass der „Vulkanwinter“ wahrscheinlich nicht so heftig ausfiel wie ursprünglich gedacht. Tatsächlich hatten schon frühere Studien auf eine weniger drastische Abkühlung hingedeutet. Demnach könnte der vulkanische Winter milder und kürzer gewesen sein als lange Zeit angenommen. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-14668-4)
Quelle: Nature Press/ Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte