Evolution

Waren die ersten Tiere vernetzt?

Filamente zwischen 570 Millionen Jahre alten Mehrzellern sprechen für enge Verknüpfung

Rangeomorpha
Die farnähnlichen Rangeomorpha gehören zur geheimnisvollen Ediacara-Fauna – den ersten mehrzelligen Tieren unseres Planeten. Jetzt zeigt sich, dass sie offenabr miteinander vernetzt lebten. © Charlotte Kenchington

„Networking“ auf Urzeit-Art: Die Lebewesen des Ediacariums – der „Generalprobe“ des Lebens – könnten schon vor 570 bis 540 Millionen Jahren vernetzte Gemeinschaften gebildet haben. Denn in Neufundland haben Forscher tausende von fädigen Verbindungen zwischen farnartigen Urzeit-Mehrzellern entdeckt. Diese Rangeomorpha könnten diese Ausläufer zur Reproduktion genutzt haben, aber auch zum Austausch von Nährstoffen, wie die Paläontologen im Fachmagazin „Current Biology“ berichten.

Rangeomorpha
Fossilien der farnähnlichen Rangeomorpha. © Alex Liu

Vor 570 Millionen Jahren, im Zeitalter des Ediacariums, kam es zu einer biologischen Revolution: Erstmals tauchten nun bis zu zwei Meter große, mehrzellige Lebewesen am Grund der Urmeere auf. Einige glichen halbaufgepumpten Luftmatratzen, andere blattartigen Farnen oder elliptischen Blasen – mit den heutigen Tiergruppen hatten diese bizarren Wesen kaum Ähnlichkeit. Dennoch waren sie wahrscheinlich die ältesten Tiere der Welt, obwohl ihnen noch Münder oder Organe fehlten. Vermutlich ernährten sie sich daher über Osmose oder Filtration.

Besonders erfolgreich waren die farnähnlichen Rangeomorpha, die im Ediacarium weite Teile der Tiefsee-Böden dominierten. „Diese Organismen konnten den Meeresboden offenbar sehr schnell kolonisieren“, erklärt Alexander Liu von der University of Cambridge. Die meisten Rangeomorpha ähnelten Blättern, die an Stielen auf dem Meeresgrund wuchsen oder auf ihm lagen. Vermutlich nahmen sie Nährstoffe aus dem umgebenden Meerwasser über Osmose auf.

Tausende von verbindenden Fäden

Jetzt aber zeigt sich eine ganz neue Facette dieser erfolgreichen Urzeit-Wesen: Liu und seine Kollegin Frances Dunn von der University of Bristol haben in Neufundland nicht nur Rangeomorpha-Fossilien in Ediacarium-Fundschichten entdeckt, sondern auch ein ganz neues Phänomen: Viele dieser Lebewesen schienen über dünne Fäden miteinander verbunden zu sein. Diese zeigen keine Spuren von Zellen, Riefen oder anderen Unterstrukturen und scheinen auf dem Meeresboden oder knapp darunter verlaufen zu sein.

Insgesamt identifizierten Liu und Dunn mehr als tausend solcher Fäden, die sich zwischen den Rangeomorpha erstreckten. „Diese Filamente sind typischerweise 100 bis 1.000 Mikrometer dick und zwei bis 40 Zentimeter lang“, berichten die Forscher. „Bei einem Exemplar ist das Filament sogar 4,10 Meter lang und endet an der Bodenplatte eines anderen Artgenossen. Ein zweites Paar dieser Art liegt entlang eines gemeinsamen Filaments von mehr als 2,23 Metern Länge.“

Vernetzte Kolonie?

Doch worum handelte es sich? Nach Angaben von Liu und Dunn sind die Filamente zu groß, um von Bakterien oder Pilzen zu stammen. „Unseres Wissens nach gibt es keine Fossilien oder rezenten fadenförmigen Organismen, die alle von uns beschriebenen Merkmale aufweisen“, konstatieren die Forscher. Sie gehen deshalb davon aus, dass diese Filamente von den Rangeomorpha ausgehen.

Das könnte bedeuten, dass die Rangeomorpha eine Art Kolonie bildeten. „Am überraschendsten war für mich, dass diese Wesen verbunden sind“, sagt Liu. „Wir haben sie immer als Individuen betrachtet, aber jetzt haben wir festgestellt, dass mehrere Mitglieder derselben Art durch diese Filamente verknüpft sein können – wie ein soziales Netzwerk im echten Leben.“

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Zwischen diesen Rangeomorpha-Fossilien verlaufen mikrometerdünne Fäden. © Alex Liu

Fortpflanzung und/oder Nährstoff-Austausch?

Doch wozu nutzten die Rangeomorpha diese Fäden? „Die Menge der Filamente in den neufundländischen Fundschichten deutet darauf hin, dass diese Fäden eine wichtige und vielleicht sogar integrale ökologische Komponente der farnähnlichen Ediacara-Fauna waren“, sagen die Wissenschaftler. Eine Möglichkeit wäre, dass es sich um Ausläufer handelte, die der Reproduktion dienten – ähnlich wie beispielsweise Erdbeerpflanzen Ableger bilden. Diese Strategie wird für einige Ediacara-Organismen angenommen.

„Wenn diese Strukturen aber allein der Fortpflanzung dienten, dann würde man erwarten, dass große Exemplare mit kleineren verbunden sind“, sagen die Forscher. Das aber sei keineswegs immer der Fall, stattdessen seien oft gleichgroße Individuen über die Fäden verbunden. Liu und Dunn vermuten deshalb, dass die Organismen über diese Ausläufer vielleicht zusätzlich Nährstoffe austauschten. Dadurch könnten sie einen Nährstoffmangel in diesem Tiefseelebensraum zumindest teilweise ausgeglichen haben, so die Vermutung der Forscher.

Vorteil durch Kooperation?

Nach Ansicht von Liu und Dunn könnte die Vernetzung der Rangeomorpha erklären, warum sie so erfolgreich waren. Die enge Verbindung zwischen den Einzelwesen half ihnen möglicherweise dabei, neue Gebiete schnell zu erschließen und auch in ungünstigen Bedingungen zu überleben. „Wir müssen nun frühere Funde noch einmal darauf hin analysieren, wie diese Organismen interagierten und vor allem, wie sie um Raum und Ressourcen am Meeresgrund konkurrierten“, sagt Liu. (Current Biology, 2020; doi: 10.1016/j.cub.2020.01.052)

Quelle: University of Cambridge

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