Paradoxe Bildung: Ausgerechnet die Hitze auf den Planeten Merkur könnte einen Teil seines polaren Wassereises geschaffen haben. Denn Sonnenwind und Hitze zusammen ermöglichen eine chemische Reaktion im Regolith, durch die Wasser entsteht. Diese Wassermoleküle driften zu den im Dauerschatten liegenden Polkratern des Planeten und gefrieren dort als Wassereis aus, wie die Forscher berichten.
Der Merkur ist ein Planet der Extreme – und in vieler Hinsicht rätselhaft. Denn er rotiert schneller als er sollte, sein Kern ist anomal groß und seine Oberfläche zeigt merkwürdige dunkle Ablagerungen und steile Schrumpfungsfalten. Weil ihm eine Atmosphäre fehlt, herrscht auf seine Tagseite eine Hitze von mehr als 400 Grad, während seine Nachtseite bis auf eisige minus 180 Grad abkühlt.
Wassereis am Merkur-Pol
Und noch etwas ist merkwürdig: Trotz fehlender Atmosphäre und brütender Tageshitze gibt es auf dem Merkur Wassereis. Wie die NASA-Raumsonde MESSENGER im Jahr 2012 enthüllte, gibt es in mehreren Kratern im Polargebiet des Planeten Eisschichten, die teils unter organischem Staub verborgen sind. Dieses Eisvorkommen finden sich an Stellen, die nie von der Sonne beschienen werden und in denen die Temperaturen daher ständig weit unter Null liegen.
Aber wie kam dieses Wassereis dorthin? Ist es ein Relikt aus in der Frühzeit des Sonnensystems? Oder gibt es Prozesse auf dem Merkur, die vielleicht sogar bis heute für Nachschub sorgen? Bisher gingen Planetenforscher davon aus, dass dieses Wassereis primär durch Einschläge von Kometen und Asteroiden auf den Planeten gebracht wurde.
Aus dem Regolith freigesetzt?
Doch es gibt noch eine andere Möglichkeit, wie nun Brant Jones vom Georgia Institute of Technology in Atlanta und seine Kollegen berichten. Demnach könnte zumindest ein Teil des Wassereises auf dem Merkur lokaler Herkunft sein. „Der dieser Idee zugrundeliegende chemische Mechanismus ist seit den 1960er Jahren schon Dutzende Male in Studien beobachtet worden“, sagt Jones. Allerdings liefen diese Reaktionen nur im Labor und auf speziellen Oberflächen ab.
Voraussetzung dieser rekombinative Resorption (RD) ist das Vorhandensein von Hydroxylgruppen (-OH), die chemisch an die metallischen Komponenten von Mineralen gebunden sind. Solche Hydroxylgruppen wurden bereits im Merkur-Regolith nachgewiesen. Wird nun diesen Verbindungen genügend Energie zugeführt, kann es zwischen benachbarten Hydroxylgruppen zu einer Umlagerung kommen, in deren Verlauf Metalloxide und H2O-Moleküle entstehen. Rein theoretisch könnte demnach auf diese Weise Wasser und damit auch Wassereis entstehen.
Hitze setzt die Reaktion in Gang
Der Haken daran: „Typischerweise ist die Aktivierungsenergie für die Bildung von H2O durch die rekombinative Resorption hoch“, berichten Jones und seine Kollegen. Damit aus Hydroxylgruppen Wasser entsteht, muss Energie beispielsweise in Form von Hitze zugeführt werden. Auf dem Mond reicht die Energiezufuhr durch die Sonneneinstrahlung daher nicht aus, um diese Reaktion in größerem Maße in Gang zu setzen.
Anders auf dem Merkur, wie nun Jones und sein Team berichten. Denn zum einen wird die Oberfläche des Planeten von einem intensiven Sonnenwind getroffen, durch den die Anlagerung von Hydroxylgruppen an Minerale begünstigt wird. Zum anderen reicht die Hitze auf der Tagseite des Merkur aus, um die Energiebarriere für die rekombinative Resorption zu überwinden, wie die Forscher mithilfe einer Simulation ermittelten.
Billionen Tonnen Wassereis
Das bedeutet: Gerade die Hitze und intensive Strahlung auf dem Merkur könnte paradoxerweise die Bildung von Wassereis fördern. Die H2O-Moleküle entstehen zunächst auf der Tagseite des Planeten. Während viele von ihnen durch die Strahlung wieder zerfallen, gelangen einige von ihnen in die kalten Schattenzonen der Merkurpole, wo sie ausfrieren und sich in den Kratern ablagern. „Unserem Modell zufolge können rund drei Mal 1030 Wassermoleküle pro Merkurtag durch die rekombinative Resorption erzeugt werden“, so Jones und seine Kollegen.
Damit könnte dieser Mechanismus in den letzten rund drei Millionen Jahren rund elf Billionen Tonnen Wassereis auf dem Merkur deponiert haben. „Damit könnte dieser Prozess leicht für bis zu zehn Prozent des gesamten Eises auf dem Merkur verantwortlich sein“, sagt Jones Kollege Thomas Orlando. Die Wissenschaftler vermuten zudem, dass auch auf anderen Himmelskörpern im Sonnensystem molekulares Wasser durch diese chemische Reaktion entstanden sein könnte und noch entsteht. (Astrophysical Journal Letters, 2020; doi: 10.3847/2041-8213/ab6bda)
Quelle: Georgia Institute of Technology