Paläontologie

Urzeit-Schlange sah bereits in Infrarot

Fossil aus der Grube Messel belegt frühe Evolution der Grubenorgane

Schlangenfossil
Vor 48 Millionen Jahren lebten zahlreiche Würgeschlangen in der Grube Messel. © Senckenberg

Überraschende Entdeckung: Schon vor 48 Millionen Jahren gab es offenbar Schlangen mit Infrarotblick. Dies legen nun Analysen eines Fossils aus der Grube Messel nahe. Die mit heutigen Würgeschlangen wie der Boa constrictor verwandte Art konnte demnach schon ein dreidimensionales Wärmebild ihrer Umgebung wahrnehmen. Es ist der früheste Beleg für ein solches visuelles System bei Schlangen, wie die Forscher erklären.

Schlangen sind ein ziemlich erfolgreiches Modell der Evolution: Die Reptilien kommen auf fast allen Kontinenten vor und haben sich an so unterschiedliche Lebensräume wie heiße Wüsten, dichte Urwälder und sogar das Meer angepasst. Doch wie die Schlangen die Welt eroberten, ist in vielerlei Hinsicht noch immer ihr Geheimnis. Denn Paläontologen fehlen vollständige Fossilien, um die Entwicklungsgeschichte heute verbreiteter Familien wie zum Beispiel den Boas nachvollziehen zu können.

Nur an wenigen Fossillagerstätten sind gut erhaltene Schlangenskelette zu finden – eine besondere Ausnahme stellt die Grube Messel in der Nähe von Darmstadt dar. „Bislang konnten vier exzellent erhaltene Schlangenarten aus der Grube Messel beschrieben werden“, erklärt Krister Smith vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt. Zu diesen Spezies gehört auch die nach dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer benannte Palaeopython fischeri. Sie ist etwa zwei Meter lang und lebte wahrscheinlich überwiegend am Boden.

Überraschende Verwandtschaft

Weil etliche Details zur Biologie dieser Schlange bisher unbekannt waren, hat Smith gemeinsam mit seinem Kollegen und Erstautor Augustin Scanferla drei rund 48 Millionen Jahre alte Schädel dieser Schlangenart nun noch einmal genauer unter die Lupe genommen. Unter anderem untersuchten die Forscher die fossilen Überreste aus Messel mithilfe der Mikro-Computertomografie.

Die Ergebnisse enthüllten: Die Schädelform der urzeitlichen Schlange ähnelt erstaunlich der heute in neotropischen Regionen wie Südamerika verbreiteten Boas – insbesondere der auch als Königsboa bekannten Boa constrictor. Diese und weitere Befunde sprechen dafür, dass diese Spezies nicht wie bislang angenommen zur Gattung Palaeopython gehört.

„Vielmehr konnte wir die Art anhand verschiedener Merkmale der Gattung Eoconstrictor zuordnen – diese ist mit den südamerikanischen Boas verwandt“, berichtet Smith. Damit gehört die Schlange zur Superfamilie der Booidea, die auch moderne Königsboas und Anakondas umfasst.

Ausgestattet mit Wärmeblick

Eine weitere Überraschung: Die nun in Eoconstrictor fischeri umgetaufte Schlange besaß bereits charakteristische Nervengänge, die mit denen moderner Boa- und Pythonarten vergleichbar sind. Diese Schlangen besitzen sogenannte Labialgruben – Sinnesorgane mit Infrarotrezeptoren, die den Tieren ein dreidimensionales Wärmebild ihrer Umgebung vermitteln. So können die Reptilien beispielsweise Beute, Feinde oder Verstecke besser entdecken.

Smith und sein Kollege deuten die bei der Messel-Schlange gefundenen Strukturen als ebensolche Grubenorgane. Anders als heutige Schlangen besaß sie diese jedoch nur am Oberkiefer, am Unterkiefer fehlen die Organe. „Dies ist der früheste Beleg für ein visuelles System bei Schlangen, das das Infrarotspektrum miteinschließt“, konstatiert das Team. Demnach hat sich die Infrarotsicht bei den sogenannten Booidea-Schlangen offenbar früher entwickelt als gedacht.

Vielfältige Schlangenwelt

Doch wozu nutzte die Urzeit-Boa ihren Infrarotblick? „Erstaunlicherweise gibt es keinen Beleg dafür, dass diese Schlange warmblütige Beute bevorzugte“, berichtet Smith. „Bisher wurden lediglich kaltblütige Tiere wie Krokodile und Eidechsen als Magendarminhalt nachgewiesen.“ Die Wissenschaftler vermuten daher: Wahrscheinlich schärften die frühen Grubenorgane die Sinne der Schlange generell – anstatt wie bei heutigen Würgeschlangen überwiegend der Jagd und Verteidigung zu dienen.

Doch nicht nur das Grubenorgan von Eoconstrictor fischeri ist spannend: Ihre verwandtschaftliche Zuordnung zu den südamerikanischen Boas liefert auch neue Hinweise auf die erstaunliche Vielfalt der Schlangenwelt vor 48 Millionen Jahren. Denn andere Booidea-Schlangen aus Messel sind enger mit anderen Schlangengruppen aus der Neuen Welt verbunden, wie die Forscher erklären. „Dies unterstreicht die kosmopolitische Natur der Messel-Fauna“, schreiben sie.

Ursprung in der Neuen Welt?

Und noch etwas zeichnet sich damit ab: Die Booidea-Schlangen könnten ihren Ursprung in Amerika haben, so die Vermutung der Wissenschaftler. „Bis heute liegt dort das Zentrum ihrer Artenvielfalt.“ Diese Hypothese können allerdings nur entsprechend alte Fossilfunde aus diesen Ländern bestätigen. Unklar ist zudem, über welche Route Eoconstrictor und Co schließlich nach Europa kamen. (Diversity, 2020; doi: 10.3390/d12030100)

Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut

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