Mikrobielle Helfer gegen die Plastikflut: Forscher haben einen Bakterienstamm entdeckt, der Polyurethan-Plastik angreift. Die an extreme Umweltbedingungen angepassten Mikroben zersetzen bestimmte Bausteine dieses nur schwer recycelbaren Kunststoffs und ernähren sich davon. Damit könnten die Bakterien dabei helfen, Polyurethan biologisch abbaubar zu machen.
Die Menschheit müllt die Erde mit Plastik zu: Mehr als 300 Millionen Tonnen Kunststoff werden jährlich weltweit produziert. Neben dem oft in Plastikflaschen enthaltenen Polyethylenterephthalat, kurz PET, macht auch Polyurethan (PU) einen großen Teil dieser Plastikflut aus. Kunststoffe auf dieser Basis kommen in zahlreichen Produkten des Alltags vor – vom Kühlschrank bis zum Turnschuh. Sogar in Gebäuden wird dieses Plastik als Dämmmaterial verbaut.
Das Problem: Wie PET und viele andere Plastikarten ist Polyurethan biologisch kaum abbaubar und lässt sich zudem nur schwer recyceln. Weil die Wiederaufbereitung energieintensiv und teuer ist, landen Unmengen davon auf Mülldeponien, wo sie giftige Chemikalien in die Umwelt freisetzen.
Plastikfresser gesucht
Auf der Suche nach einer Lösung setzen Forscher inzwischen vermehrt auf die Hilfe winziger Lebewesen. Denn bestimmte Mikroorganismen können Plastikbestandteile zersetzen. So gibt es Bakterien, die PET-Plastik mithilfe spezieller Enzyme in kleine chemische Bausteine zerlegen. Maria José Cárdenas Espinosa und ihre Kollegen vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig haben nun eine Mikrobe entdeckt, die ein ähnliches Talent für Polyurethan-Kunststoff besitzt.
Für ihre Studie suchten die Wissenschaftler an einer Stelle mit viel Plastikmüll in Leipzig nach vielversprechenden mikrobiellen Kandidaten. Dabei isolierten sie aus dem Boden eine Bakterienart der Gattung Pseudomonas, die bestimmte chemische Verbindungen in Polyurethan anzugreifen schien.
Giftige Nahrung
Weitere Untersuchungen enthüllten: Diese Mikrobe wächst nicht nur auf Polyurethan-Oligomeren. Sie kann auch bestimmte Vorläuferverbindungen und Zwischenprodukte zersetzen, die bei der Herstellung dieser Kunststoffe entstehen. Dies galt insbesondere für das als krebserregend eingestufte 2,4-Diaminotoluol (2,4-TDA). „Unseres Wissens nach ist dies der erste Bericht über die Isolierung einer Bakterienkultur für den Polyurethan-Vorläufer 2,4-TDA“, konstatieren die Forscher.
Den Pseudomonas sp. TDA1 getauften Bakterien dienen die Kunststoff-Bausteine offenbar als Nahrung. „Die Bakterien können diese Verbindungen als ihre alleinige Quelle von Kohlenstoff, Stickstoff und Energie nutzen“, berichtet Espinosas Kollege Hermann Heipieper. Wie das Team erklärt, gehört der Bakterienstamm zur Gruppe der extremophilen Mikroorganismen – Lebewesen, die sich an extreme Umweltbedingungen angepasst haben und sehr tolerant gegenüber Giften und anderen Stressfaktoren sind.
„Wichtiger erster Schritt“
Um mehr über die Arbeitsweise dieses „Plastikfressers“ herauszufinden, analysierten Espinosa und ihre Kollegen das Genom dieser Mikrobe und führten eine Reihe von Experimenten durch. Dabei stellten sie fest: Die Bakterien dieses Stammes besitzen zahlreiche Gene für die Verstoffwechslung aromatischer Verbindungen.
Wie schon von anderen Mikroben bekannt, scheiden die Bakterienzellen unter anderem bestimmte Enzyme aus, die dann die Zersetzung der Plastikbestandteile in der unmittelbaren Umgebung in Gang setzen. „Diese Ergebnisse repräsentieren einen wichtigen ersten Schritt, um schwer recycelbare Polyurethan-Produkte eines Tages wiederverwerten zu können“, konstatiert Heipieper.
Neue Recyclingansätze in Sicht?
Bis es soweit ist, ist allerdings noch einiges an Forschung nötig. In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler sämtliche Gene identifizieren, die die Bauanleitung für die plastikzerschneidenden Enzyme von Pseudomonas sp. TDA1 enthalten. Außerdem werden sie überprüfen, wie genau der chemische Zersetzungsprozess abläuft.
Eines Tages könnten die Bakterien oder ihre Enzyme gezielt genutzt und weiter optimiert werden, um Polyurethan und Co biologisch abbaubar zu machen und geschlossene Recycling-Kreisläufe zu realisieren. Vor einer solchen technologischen Umsetzung müsse jedoch weiteres Grundlagenwissen erlangt werden, so das Fazit der Forscher. (Frontiers in Microbiology, 2020; doi: 10.3389/fmicb.2020.00404)
Quelle: Frontiers