Der Mensch ist ein soziales Wesen. Dies zeigt sich schon daran, dass wir ohne den Kontakt zu anderen Menschen nach der Geburt nicht überleben könnten. Die Bindung zur Mutter und anderen Bezugspersonen ist für die gesunde Entwicklung eines Kindes von enormer Bedeutung.
Sie stellt nicht nur das für die Psyche wichtige Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit her, sondern macht auch das Erlernen wichtiger Verhaltensweisen und Fertigkeiten erst möglich. Darüber hinaus ist die soziale Einbindung für die Identitätsfindung bedeutsam: Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? All dies finden Menschenkinder heraus, indem sie sich in Beziehung zu anderen setzen.
Der Fall Kaspar Hauser
Was passiert, wenn das soziale Umfeld fehlt, zeigt das berühmte wie mysteriöse Beispiel des Kaspar Hauser. Als der 16-Jährige im Jahr 1828 auf dem Nürnberger Unschlittplatz auftauchte, sah er nicht nur verwahrlost aus. Er konnte auch kaum reden und war mit vielen menschlichen Verhaltensweisen unvertraut. Kurzum: Er wirkte wie ein auf dem Stand eines Kleinkindes stehengebliebener Jugendlicher.
Später stellte sich heraus, dass der Junge wahrscheinlich jahrelang in völliger Isolation in einem dunklen Verlies gelebt hatte. Er sei „weder verrückt noch blödsinnig, aber offenbar auf heillose Weise von aller menschlichen und gesellschaftlichen Bildung gewaltsam entfernt worden“, so der Eindruck des damaligen Bürgermeisters Jakob Friedrich Binder.
Sogenannte Kaspar-Hauser-Experimente bestätigten die fatalen Folgen sozialer Isolation später bei Primaten wie Rhesusaffen: Ohne Kontakt zu anderen aufwachsend, entwickelten auch unsere Verwandten schwerwiegende Entwicklungs- und Verhaltensstörungen.
Ein wesentliches Bedürfnis
Schon im Kindergartenalter entstehen in allen Kulturen auch Beziehungen außerhalb der Familie – es entwickeln sich die ersten Freundschaften. Für die meisten Jugendlichen und Erwachsenen sind solche Kontakte ein wesentliches Bedürfnis. Bindungen zu anderen einzugehen, scheint eine grundlegende Eigenschaft des Mensch-Seins zu sein.
Tatsächlich werten Experten Dinge wie soziale Zusammenarbeit, die Fähigkeit zur Empathie oder den uneigennützigen Einsatz für andere als zentrale Kennzeichen menschlicher Kultur. Das Wir-Gefühl – ob im Kreise der Familie, einer Gruppe oder der Gesellschaft – ist dabei stets auch mit sozialen Normen verbunden.
Das bedeutet: In der Gemeinschaft gelten Regeln, an die sich alle halten müssen. Dies erkennen bereits kleine Kinder. Beobachten sie beispielsweise, wie jemand gegen vorher vereinbarte Spielregeln verstößt, protestieren sie. Trittbrettfahrer sind schon bei den Kleinsten unerwünscht. Denn sie begreifen sich offenbar bereits als Teil einer Gemeinschaft, die von sozialem Verhalten geprägt ist.