Freie Fahrt zum Pol: Der Nordpol könnte schon vor dem Jahr 2050 im Sommer eisfrei werden – selbst beim Einhalten des Zwei-Grad-Klimaschutzziels, wie eine neue Simulation enthüllt. Allerdings: Ob das komplette Abtauen des arktischen Meereises eine Ausnahme bleibt oder zum Normalfall wird, hängt sehr wohl vom Klimaschutz ab, wie die Forscher im Fachmagazin „Geophysical Research Letters“ berichten.
Das arktische Meereis schwindet. Parallel dazu geht dieser Eisdecke auf dem Nordpolarmeer der Nachschub aus und gerade das alte, stabilere Meereis taut überproportional stark ab, wie Messungen belegen. Schon jetzt werden dadurch in der Arktis Schifffahrtsrouten wie die Nordpostpassage im Sommer immer häufiger schiffbar und selbst am Nordpol gibt es vereinzelt offenes Wasser.
Arktisches Meereis im Simulator
Was aber bedeutet dies für die Zukunft? Wann müssen wir damit rechnen, dass sogar der Nordpol im Sommer eisfrei wird? Das haben nun Dirk Notz vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg und sein Team untersucht.
Die Forscher verglichen zunächst, wie gut ein neues Ensemble von 40 Klimamodellen, das sogenannte CMIP6, die Beobachtungsdaten seit 1979 reproduzieren kann. Wichtig ist dies deshalb, weil neben dem Klimawandel auch andere Faktoren, darunter spezielle Wetterlagen oder Meeresströmungen, die Meereis-Entwicklung beeinflussen. Ihre Testläufe ergaben jedoch, dass die Resultate des CMIP6-Ensemble sehr eng an den tatsächlich gemessenen Trends liegen.
Nun folgte der entscheidende Schritt: Die Simulation der künftigen Meereisentwicklung unter verschiedenen Emissionsszenarien. Dafür fütterten die Forscher ihre Modelle mit Treibhausgaswerten, die einem effektiven Klimaschutz entsprechen, einer eher gemäßigten Reduktion der Emissionen oder aber einen ungebremsten Anstieg der CO2-Werte bis auf mehr als das Doppelte der aktuellen Werte.
Eisfreier Nordpol selbst beim Zwei-Grad-Ziel
Das überraschende Ergebnis: Unabhängig vom Klimaszenario wurde der Nordpol schon vor dem Jahr 2050 in mindestens einigen Sommern eisfrei. „In 101 von 128 Simulationen wurde die Arktis praktisch eisfrei, bevor die kumulativen CO2-Emissionen um mehr als 1.000 Gigatonnen über dem Wert von 2019 ansteigen“, berichten Notz und sein Team. Dieser Ausstoß entspricht in etwa dem, was die Menschheit insgesamt noch ausstoßen darf, wenn sie das Zwei-Grad-Klimaziel halten will.
„Das hat uns überrascht“, sagt Notz. „Wenn wir die Emissionen weltweit schnell und deutlich reduzieren und so das Zwei-Grad-Ziel erreichen, wird das Arktiseis trotzdem noch vor 2050 im Sommer immer wieder einmal weitestgehend abschmelzen.“ Im Extremfall könnten sogar CO2-Emissionen von weiteren 200 Gigatonnen ausreichen, wie die Simulationen ergaben. Bei einem momentanen Jahresausstoß von rund 37 Gigatonnen CO2 allein aus fossilen Brennstoff hätten wir diesen Wert in wenigen Jahren erreicht.
Ausnahme oder Normalfall? Das entscheiden wir
Das aber bedeutet: Dass der Nordpol schon vor 2050 in manchen Jahren eisfrei wird, lässt sich schon jetzt nicht mehr verhindern. In den Modellsimulationen nahm die Fläche des arktischen Meereises bis zum Jahr 2040 in allen Klimaszenarien nahezu gleich viel ab. Diese Entwicklung ist demnach quasi vorgezeichnet. Dies passt zu der Annahme, dass das Meereis ein Kippelement im Klimasystem darstellen könnte.
Doch nach 2040 traten je nach Szenario deutlichere Unterschiede auf. Je höher die CO2-Emissionen waren, desto schneller und größer war der Eisverlust. Demnach können wir durchaus noch beeinflussen, ob ein eisfreier Nordpol die Ausnahme oder aber der Normalzustand wird, wie Notz und seine Kollegen betonen. (Geophysical Research Letters, 2020; doi: 10.1029/2019GL086749)
Quelle: Universität Hamburg