Biologie

Insekten schwinden auch weltweit

Stärkster Rückgang in Europa und Nordamerika, Zuwachs bei Süßwasser-Insekten

Insekten
Die Häufigkeit von Insekten geht weltweit zurück – in Europa und Nordamerika ist der Schwund am größten. © borchee/ iStock.com

Globaler Trend: Die Menge der Insekten ist nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit zurückgegangen – wenn auch weniger als bei uns, wie die bisher umfangreichste Metastudie dazu belegt. Demnach hat die Häufigkeit der Landinsekten weltweit um knapp ein Prozent pro Jahr abgenommen. Im Süßwasser hat sich die Insektenzahl dagegen um ein Prozent erhöht, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten. Allerdings sind die Trends je nach Region und Lebensraum unterschiedlich.

Insekten sind für die Bestäubung der meisten Pflanzen unverzichtbar und eine wichtige Nahrung für unzählige Vögel und Kleinsäuger. Doch gerade in Deutschland und Europa ist ihre Häufigkeit teils drastisch zurückgegangen, wie Studien in den letzten Jahren enthüllten. So gibt es bei uns heute bis zu 78 Prozent weniger Arthropoden als noch vor zehn Jahren und bei den fliegenden Insekten ist die Biomasse in knapp 30 Jahren um 75 Prozent gesunken.

Trends
Trends bei der Häufigkeit von Landinsekten (oben) und Süßwasserinsekten. © Van Klink et al./ Science 2020

Doch solche regionalen Erhebungen sagen nichts über den weltweiten Zustand der Insektenpopulationen aus. „Es blieb daher unklar, ob es diesen Rückgang auch über geografische Regionen und Biome hinweg gibt“, erklären Roel van Klink vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) in Leipzig und seine Kollegen.

Knapp ein Prozent Verlust pro Jahr

Deshalb haben Forscher nun die bisher umfangreichste globale Datenanalyse zu diesem Thema durchgeführt. Für ihre Metastudie werteten sie 166 Langzeitstudien zur Insektenzahl und -biomasse aus 1.676 Orten und 41 Ländern weltweit aus. Einige davon reichen bis ins Jahr 1925 zurück, die meisten umfassten aber Zeiträume von im Schnitt 20 Jahren.

Das Ergebnis: Insgesamt betrachtet nimmt die Häufigkeit der Insekten weltweit ab – wenn auch viel weniger als in Deutschland. Für die Landinsekten ermittelten die Forscher einen globalen Rückgang von rund um 0,92 Prozent pro Jahr. „0,92 Prozent klingt vielleicht nicht nach viel, aber es bedeutet 24 Prozent weniger Insekten über 30 Jahre und sogar eine Halbierung über 75 Jahre“, erklärt van Klink. Angesichts der entscheidenden Rolle, die Insekten in Nahrungsnetzen und Ökosystemen spielen, sei ein solcher Rückgang beunruhigend.

Stärkste Verluste in Europa und Nordamerika

Allerdings gibt es große regionale Unterschiede, wie die Studie ergab. So ist der Insektenschwund in Teilen Nordamerikas und in Europa besonders groß. Dabei hat sich der Rückgang in Nordamerika in den letzten Jahren abgeschwächt, in Europa ist er dagegen vor allem seit 2005 gravierender geworden. „Dies zeigt, dass wir in Europa derzeit ein akutes Problem mit dem Rückgang von Insekten haben“, kommentiert Katrin Böhning-Gaese vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt.

Weniger klar ist der Trend dagegen in Asien und Afrika: Dort scheint die Zahl der Insekten eher zuzunehmen oder gleichzubleiben. Das könnte darauf hindeuten, dass der Rückgang der Insekten nicht auf einen einzelnen global wirkenden Einflussfaktor zurückzuführen ist, kommentiert die nicht an der Studie beteiligte Biologin Nadja Simons von der TU Darmstadt. Allerdings fehlt es bislang gerade aus den südlichen Kontinenten an Daten: „Unsere Quellen waren nicht repräsentativ über die Welt verteilt“, räumen van Klink und sein Team ein.

Fliegende Insekten stärker betroffen als Baumbewohner

Doch auch der Lebensraum spielt offenbar eine Rolle, wie die Metastudie enthüllte. Demnach hat die Menge der fliegenden Insekten in der Luft und der am Boden lebenden Arten besonders stark abgenommen. Der Eindruck, dass heute weniger Insekten auf der Windschutzscheibe der Autos landen, sei daher durchaus berechtigt: „Wir konnten zeigen, dass fliegende Insekten im Schnitt tatsächlich weniger geworden sind“, sagt Jonathan Chase vom iDiv. Im Gegensatz dazu sind Insekten in Baumkronen kaum vom Rückgang betroffen.

Unterschiede gab es auch in Bezug auf den Schutzzustand des Lebensraums: Der Insektenschwund in geschützten Gebieten war im Schnitt geringer. Gleichzeitig waren Daten aus Naturschutzgebieten überproportional stark vertreten. „Das bedeutet, dass die Standorte mit der intensivsten Landnutzung durch den Menschen und den möglicherweise stärksten Auswirkungen auf Insekten unterrepräsentiert waren“, sagen die Forscher. Der Insektenschwund könnte daher schwerwiegender sein als ermittelt.

Stabilere Bestände auf Äckern und Feldern

Auffallend auch: In Gebieten mit starker landwirtschaftlicher Nutzung war der Insektenschwund vergleichsweise gering ausgeprägt. Ein möglicher Grund könnte sein, dass die Landnutzung und damit auch der Pflanzenbestand in diesen Gebieten relativ stabil geblieben sind, so die Forscher. Welche Rolle die Landwirtschaft für die Entwicklung der Insektenzahl spielt, könne man aber aus den Daten nicht ablesen.

Eine weitere mögliche Erklärung liefert nicht an der Studie beteiligte Ökologe Christoph Scherber von der Universität Münster: „Eine Zunahme der Masse an Insekten kann hier heißen, dass bestimmte Insekten der Agrarlandschaft – oder sogar Schädlinge – zugenommen haben. So gibt es zum Beispiel umso mehr Schwebfliegen und Rapsglanzkäfer, je mehr Getreide und Raps angebaut wird.“ Ob die ermittelten Werte auf solche Schwemmen nur weniger Arten oder auf viele Arten zurückgehen, geht aus der Metastudie aber nicht hervor.

Wasserläufer
Die Zahl der Insekten im Süßwasser, hier ein Wasserläufer, hat leicht zugenommen. © Oliver Thier

Mehr Insekten in Tümpeln, Seen und Flüssen

Ähnlich ist dies bei den Insekten, die einen Großteil ihres Lebens im Süßwasser verbringen – wie beispielsweise Wasserläufer, aber auch die Larven von Libellen, Mücken oder Köcherfliegen. Ihre Häufigkeit hat weltweit um rund 1,08 Prozent pro Jahr zugenommen, wie die Analysen ergaben. „In den letzten 50 Jahren wurde weltweit viel getan, um verschmutze Flüsse und Seen wieder zu säubern“, sagt Chase. „Dadurch haben sich möglicherweise viele Populationen von Süßwasserinsekten erholt.“

Allerdings: Da die Häufigkeit und nicht die Vielfalt der Insekten ermittelt wurde, könnten daher auch hier rein theoretisch Massenvermehrungen weniger Arten wie der Mückenlarven solche Zunahmen verursachen. Ähnlich sehen es auch andere Forscher: „Die Zunahme der Insekten im Süßwasser würde ich positiv, aber nicht übermäßig positiv bewerten“, kommentiert Alexandra-Maria Klein von der Universität Freiburg. „Erstens wissen wir nicht, welche Arten zugenommen haben und zweitens ist der Anteil am Süßwasser viel geringer als der Landanteil. Um die Ursachen bestimmen zu können, müssten detailliertere Daten gesammelt werden.“ (Science, 2020; doi: 10.1126/science.aax9931)

Quelle: Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung, Science Media Center

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