Die antike Tsunami-Katastrophe des Jahres 365 war kein Einzelfall. Im Schnitt kommt es im Mittelmeerraum einmal pro Jahrhundert zu geologisch bedingten Flutwellen – wenngleich viele davon nur wenige Meter hoch sind. Doch immer wieder ereignen sich auch Tsunamis, die ganze Küstenstriche überfluten und verheerende Zerstörungen anrichten. Rund 75 Prozent dieser Tsunamis werden von Erdbeben an einer der Verwerfungen im Untergrund ausgelöst.
Gefahrenzone 1: Der Hellenische Inselbogen
Als besonders gefahrenträchtig gelten der sogenannte Hellenische Inselbogen im östlichen Mittelmeer und die Straße von Messina zwischen Sizilien und dem italienischen Festland. Neben der antiken Tsunami-Katastrophe von 365 gehen auch mehrere Zerstörungen des griechischen Heiligtums von Olympia auf das Konto dieser Plattengrenze. Es handelt sich dabei um eine Subduktionszone, die sich vom Westen Griechenlands über Kreta bis nach Rhodos erstreckt. Sie besteht aus einem Tiefseegraben und zwei nördlich davon liegenden Verwerfungen, an denen sich die Erdplatten um 50 Millimeter pro Jahr aufeinander zu bewegen.
Entsprechend aktiv ist diese Zone – sie gilt als eine der erdbebenträchtigsten Regionen im westlichen Eurasien. Pro Jahr ereignen sich hier im Schnitt drei bis sechs Beben mit einer Magnitude höher als 5, wie Forscher um Mathilde Sørensen von der Universität Bergen vor kurzem ermittelten. Aber auch Erdbeben der Magnitude 7 und höher kommen vor – meist treten solche Starkbeben dort sogar in Serie auf, wie Forscher 2015 herausfanden.
Eines der schwersten Tsunami-Beben im Hellenischen Inselbogen war jedoch das Beben von Kreta im Jahr 1303. Damals lösten Erdstöße der Stärke 8 einen Tsunami aus, der noch an der ägyptischen Küste bis zu neun Meter hohe Flutwellen verursachte. Beben und Wassermassen zusammen zerstörten Küstenstädte im gesamten östlichen Mittelmeerraum, allein auf Kreta starben mehr als 4.000 Menschen in Trümmern und Fluten. Selbst in Kairo zerstörten Tsunami und Erdstöße viele Gebäude und hinterließen bis heute sichtbare Schäden an den Pyramiden. In Alexandria fielen die Stadtmauern in sich zusammen und der berühmte Leuchtturm wurde stark beschädigt.
Gefahrenzone 2: die Straße von Messina
Ein zweites Gefahrenzentrum im Mittelmeer ist die Straße von Messina. Die unter dieser Meerenge zwischen Sizilien und dem italienischen Festland liegende Verwerfung ist für eine schlimmsten Katastrophen in der europäischen Geschichte verantwortlich – das Erdbeben von Messina im Jahr 1908. Die Erdstöße der Magnitude 7,5 gefolgt von einem Tsunami mit bis zu zwölf Meter hohen Wellen verursachten Zerstörungen in einem mehr als 4.000 Quadratkilometer großen Gebiet. Allein in den Städten Messina und Reggio Calabria starben mehr als 100.000 Menschen – das Ereignis gilt als opferreichste Naturkatastrophe im Europa des 20 Jahrhunderts.
Der russische Schriftsteller Maxim Gorki, der direkt nach der Katastrophe von Capri aus nach Messina reiste, schildert auf Basis von Augenzeugenberichten: „Die Erde dröhnte und ächzte dumpf, sie krümmte und bog sich unter den Füßen und bildete tiefe Spalten – wie wenn dort unten ein gewaltiger, seit Urzeiten schlummernder blinder Riesenwurm erwacht wäre. … Keine Worte gibt es, um den Schmerz, keine Farben, um das furchtbare Bild der Katastrophe zu malen.“
Auch in der Gegenwart sind diese Bebenzone und angrenzende Verwerfungen noch aktiv, wie Forscher unter anderem im Jahr 2017 bestätigten. Was aber bedeutet dies für das aktuelle Tsunami-Risiko im Mittelmeer?