Nur auf den ersten Blick erscheint das Gehirn als dankbares Forschungsobjekt: Es hat eine handliche Größe, und solange sich die Wissenschaftler mit Maushirnen begnügen, mangelt es auch nicht an Untersuchungsmaterial. Die wahren Bedingungen der Hirnforscher sehen aber anders aus.
Mehr als Summe seiner Teile
Das Gehirn ist mit mehr als 100 Milliarden Nervenzellen das komplexeste Organ des Menschen, nur im lebenden Organismus kann man es bei der Arbeit beobachten. Dabei wird rasch eine seiner wesentlichsten Eigenschaften deutlich: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das Gehirn ist nicht nur eine Ansammlung von zig Milliarden Nervenzellen – es sind die komplexen Verschaltungen der Nervenzellen untereinander, die uns denken und lernen lassen.
Am Anfang der Entwicklung entsteht das Gehirn aus einer einzigen Zelle. Es muss also Regeln geben, die steuern, wie die Nervenzellen während der Embryonalentwicklung zusammenspielen. Diese Regeln können nach heutigem Stand des Wissens nur in unseren Erbanlagen gespeichert sein. Man nimmt an, dass rund ein Drittel der circa 20.000 Gene des menschlichen Erbguts für die Hirnentwicklung benötigt wird – schon allein das weist auf die außerordentliche Komplexität des Organs hin.
Wie also kann man sich an diese außerordentliche biologische Komplexität mit dem Ziel heranwagen, Denkvorgänge von Maschinen nachahmen zu lassen, also eine „Künstliche Intelligenz“ (KI) zu erzeugen?
Vom Schach zu komplexen Echtzeit-Strategien
Schon heute wartet die Künstliche Intelligenz mit durchaus beeindruckenden Resultaten auf, etwa mit Siegen von Maschinen über die besten menschlichen Schachspieler. Aber nicht nur traditionelle Brettspiele wie Schach oder Go, auch moderne computergestützte Echtzeitstrategiespiele können von Maschinen erfolgreich bestritten werden. Das haben Forscher kürzlich unter anderem anhand des Online-Spiels „Starcraft“ demonstriert.
Auch das Pokern inklusive der Bluffs beherrschen KI-Systeme bereits. KI-Systeme können Fahrzeuge nahezu unfallfrei durch dichten Verkehr lenken oder Personen in den Live-Videodaten Tausender Überwachungskameras identifizieren. All das sind Beispiele für Leistungen maschinellen Lernens, die es bereits heute gibt.
Prinzipien der Natur übernommen
Was der Künstlichen Intelligenz zu diesem Durchbruch verholfen hat, war die Übernahme von Prinzipien der Natur. Dazu gehört das Konzept des mehrlagigen Nervennetzes, dessen Nachahmung es möglich macht, selbst komplizierteste Zusammenhänge näherungsweise zu berechnen. Auch die Beobachtung, dass die Berechnungen eng mit dem dazu nötigen Speicher verknüpft sein müssen, zählt dazu – sonst wird der Transport der Daten zum Flaschenhals.
So betrachtet, beruhen die Fortschritte der Künstlichen Intelligenz also vor allem auf der Imitation biomorpher Entwurfsprinzipien.
Autor: Johannes Schemmel, Universität Heidelberg/ Ruperto Carola