Dammbrüche im Eis: Der gigantische Canyon unter dem grönländische Eisschild entstand durch katastrophale Schmelzwasser-Fluten, wie nun eine Studie enthüllt. Demnach führten Klimawechsel am Beginn des Eiszeitalters zur Bildung großer Gletscherseen, deren Wassermassen nur durch Eisdämme zurückgehalten wurden. Der wiederholte Bruch dieser Dämme löste enorme Sturzfluten aus, die im Laufe der Zeit die Riesenschlucht einkerbten, wie die Forscher im Fachmagazin „Geology“ berichten.
Unter dem kilometerdicken Eispanzer Grönlands verbirgt sich eine gigantische Kerbe in der Erde – eine Schlucht, die die Insel einmal von Norden nach Süden durchzieht. Mit einer Länge von 750 Kilometern und einer Tiefe von teils mehreren Kilometern ist dieser erst im Jahr 2013 entdeckte Mega-Canyon einer der größten der Erde. Durch ihn und das von ihm ausgehende Netzwerk von Seitenschluchten strömen große Mengen Schmelzwasser nordwärts bis zur Mündung unter dem Petermann-Gletscher.
Abkühlung mit warmen Zwischenzeiten
Doch wie ist die subglaziale Riesenschlucht entstanden? Das haben nun Benjamin Keisling von der University of Massachusetts und seine Kollegen untersucht. Dafür rekonstruierten sie Klima, Ausmaß der Vergletscherung und Schmelzvorgänge der letzten rund 2,6 Millionen Jahre. Sie blickten damit in die Zeit zurück, in der das globale Klima allmählich so weit abkühlte, dass die Arktis vereiste und auch die Gletscher auf Grönland heranwuchsen.
Es zeigte sich: In dieser Zeit kam es nach langen Perioden stabilen, kalten Klimas immer wieder zu ungewöhnlich warmen Zwischenepisoden, in denen der heranwachsende Eisschild sich vorübergehend zurückzog und in Teilen aufschmolz. Dadurch jedoch entstanden große Schmelzwasserseen, die von Dämmen aus Eis umgeben waren.
Sturzfluten nach Dammbrüchen
Manchmal jedoch kam es dabei zur Katastrophe: Die Eisdämme brachen und enorme Mengen an Schmelzwasser ergossen sich in einer Sturzflut über die Landschaft. Im Laufe der Zeit gruben diese wiederholten Zyklen von sich füllenden Gletscherseen und Dammbrüchen immer tiefere Schluchten in die nach Norden hin abfallende Landschaft. Nach Dutzenden, vielleicht sogar hunderten solcher Schmelzwasserfluten entstand so auch die zentrale Mega-Schlucht Grönlands.
„Die Interaktionen zwischen dem Klima, dem wachsenden Eisschild und der Topografie trugen dazu bei, dass der Mega-Canyon durch die wiederholten, katastrophalen Sturzfluten eingekerbt wurde“, erklären die Forscher. „Wenn sich diese Megafluten ereigneten, könnten sie selbst die Ozeanzirkulation beeinflusst haben und dadurch Klimaveränderungen von regionaler und vielleicht sogar globaler Bedeutung verursacht haben.“
Einfluss bis heute
Solche Sturzfluten aus Schmelzwasserseen sind kein Phänomen nur der Vergangenheit – auch heute noch gibt es Gletscherseen, die solche katastrophalen Fluten verursachen können. Auf Island kommen solche „Jökulhaup“ genannten Gletscherfluten häufig vor, wenn ein subglazialer Vulkanausbruch große Mengen an Schmelzwasser unter dem Eis erzeugt. Aber auch in Gebirgen entstehen im Zuge des Klimawandels immer wieder potenziell instabile Gletscherseen.
Und auch auf Grönland ist die Geschichte der Riesenschlucht noch lange nicht zu Ende. „Der Mega-Canyon beeinflusst auch heute noch, wie Eis und Wasser im Untergrund strömen und bestimmt so die Stabilität des Eisschilds“, erklärt Keisling. Er und seine Kollegen gehen zudem davon aus, dass auch heute noch große Schmelzwasserfluten in diesem Canyon ausgelöst werden könnten, wenn die globale Erwärmung weitergeht.
„Das Wissen um die Geschichte von Grönlands Untergrund liefert uns daher den Kontext, um das langfristige Verhalten des Eisschilds besser zu verstehen“, sagt Keisling. „Denn es gibt uns einen Einblick darin, was in vergangenen Wärmeperioden geschah.“ (Geology, 2020; doi: 10.1130/G47253.1)
Quelle: Geological Society of America