Die Indizien verdichten sich: Eine Ursache für die Alzheimer-Demenz könnte das Herpes-simplex-Virus sein – der Erreger von Lippenbläschen und Co. Neue Belege dafür liefert ein Experiment mit menschlichem Hirngewebe. Wurden diese Neuronen mit dem Herpes-Virus infiziert, entwickelten sich Amyloid-Plaques, Hirnzellen starben ab und Alzheimer-typische Botenstoffe entstanden, wie die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten.
Obwohl Alzheimer eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen weltweit ist, liegen die Ursache dieser Demenz noch immer im Dunkeln. Zwar gibt es einige genetisch bedingte Alzheimer-Formen, 95 Prozent der Fälle erkranken jedoch an der sogenannten sporadischen Form, deren Auslöser man nicht kennt. Im Verdacht stehen verschiedene Umweltfaktoren wie Feinstaub, Aluminium und andere Schadstoffe, aber auch Krankheitserreger wie Paradontitis-Bakterien oder bestimmte Viren.
Herpes-Virus im Verdacht
Ein Erreger ist dabei besonders in den Fokus gerückt: Herpes simplex. Dieses Virus bleibt nach einer Infektion lebenslang im Körper und nistet sich in den feinen Nervenenden der Haut und den weiterführen Nervenfasern ein. Werden die Erreger dann aktiv, bilden sich die typischen Lippenbläschen, in seltenen Fällen kann Herpes aber auch ins Gehirn vordringen und dort eine Enzephalitis verursachen.
Inzwischen deuten mehrere Studien darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen Herpes-Viren und Alzheimer geben könnte. So wurden hohe Dichten dieser Viren in Amyloid-Plaques von Alzheimer-Patienten nachgewiesen und Forscher in Taiwan haben bei einer epidemiologischen Studie festgestellt, dass eine Infektion mit Herpes das Risiko für eine spätere Alzheimer-Erkrankung signifikant erhöht. Ob es einen kausalen Zusammenhang gibt, blieb jedoch ungewiss.
Virenbefall erzeugt Amyloid-Plaques und Tau-Proteine
Das haben nun Dana Cairns von der Tufts University in Massachusetts und ihr Team näher untersucht. Für ihre Studie züchteten sie aus neuronalen Stammzellen zwei- und dreidimensionale Gewebekulturen menschlicher Hirnzellen. Bei den 3D-Kulturen wuchsen die Zellen auf einem ringförmigen Gerüst aus Seidenprotein und bildeten ähnliche Schichten aus, wie die graue und weiße Hirnsubstanz im ausgewachsenen Gehirn. Diese Gewebekulturen infizierten die Forscher dann mit Herpes simplex und beobachteten, was geschah.
„Die Ergebnisse waren erstaunlich“, sagt Cairns Kollege David Kaplan. „Nur drei Tage nach der Herpes-Infektion bildeten sich große, dichte Plaques aus Beta-Amyloid und auch die Enzyme, die diese Plaquebildung fördern, wurden vermehrt ausgeschüttet.“ Eine spezielle Anfärbung des Gewebes enthüllte zudem, dass sich auch die für Alzheimer typischen Tau-Proteine anreicherten. Parallel dazu veränderte der Virenbefall die Genaktivität der Neuronen: Die Forscher fanden bei 40 mit Alzheimer in Verbindung stehenden Genen eine deutliche Überaktivität, wie sie berichten.
Indiz für ursächlichen Zusammenhang
All dies hatte fatale Folgen für die Hirnzellen: Eine Woche nach der Infektion waren im Gewebemodell ausgedehnte Bereiche mit abgestorbenen Hirnzellen sichtbar, wie die Forscher berichten. „Wir haben den Verlust von Neuronen beobachtet, außerdem Entzündungen des Gewebes und eine unterdrückte Kommunikation zwischen den Hirnzellen – genau das, was wir auch bei Alzheimer-Patienten sehen“, berichtet Kaplan.
Nach Ansicht von Cairns und ihrem Team sprechen diese Ergebnisse dafür, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Herpes-Infektion des Gehirns und Alzheimer gibt. „Dies ist die erste Studie, die so viele physiologische relevante Merkmale der Erkrankung in einem Modellsystem nachweist“, sagen die Wissenschaftler. „Unser dreidimensionales Gewebemodell des Gehirns zeigt, das schon das Herpes-Virus allein ausreicht, um typische Alzheimer-Merkmale auszulösen.“
Antivirales Mittel verhindert Degeneration
Gestützt wird dies durch ein zweites Experiment. Bei diesem behandelten die Forscher die infizierten Gewebekulturen mit Valaciclovir, einem häufig gegen Herpes-Viren eingesetzten Medikament. „Wir wollten wissen, ob die Hemmung des Virus durch dieses antivirale Mittel auch die Alzheimer-ähnlichen Merkmale verringern kann“, erklären Cairns und ihr Team.
Und tatsächlich: Die neuronalen Gewebe, die direkt nach der Infektion mit dem Herpes-Virus eine Dosis Valaciclovir bekamen, entwickelten keine Amyloid-Plaques und auch die Produktion der Alzheimer-typischen Enzyme und Botenstoffe blieb normal. Bei den Geweben, die das antivirale Mittel erst einen Tag nach der Infektion erhalten hatten, waren die krankhaften Veränderungen gegenüber den Kontrollen zumindest reduziert.
„Das könnte bedeuten, dass diese Art der pharmazeutischen Intervention auch zur Vorbeugung oder Behandlung von Alzheimer bei Patienten nützlich sein könnte“, sagen Cairns und ihre Kollegen. Weitere Studien müssen dies nun untersuchen. (Science Advances, 2020; doi: 10.1126/sciadv.aay8828)
Quelle: Tufts University