Mysteriöses Verschwinden: An vielen Stellen weltweit klafft eine fast eine Milliarde Jahre umfassende Lücke in den Gesteinsablagerungen – schon Charles Darwin rätselte darüber. Jetzt haben Geologen die mögliche Ursache dieser „Großen Unkonformität“ zumindest stark eingeengt. Demnach trugen nicht die Gletscher der „Schneeball Erde“-Phase die fehlenden Schichten ab, sondern die Bildung und der Zerfall des Urkontinents Rodinia.
Diese Lücke gibt Geologen seit Jahrhunderten Rätsel auf: In Schottland stieß James Hutton schon im Jahr 1787 auf einen abrupten Bruch in den Gesteinsschichten, die auf ein Fehlen von rund 80 Millionen Jahren an Ablagerungen hindeuteten. 1869 bemerkte der US-Geologe James Wesley Powell im Grand Canyon eine noch größere Lücke: Unterhalb der gut 500 Millionen Jahre alten Tonto-Gesteinsformation fehlen zwischen 175 Millionen und 1,2 Milliarden Jahre an Gestein.
Und auch Charles Darwin konnte sich nicht erklären, warum die fossilienreichen Schichten des Kambriums an vielen Stellen nach dieser Großen Lücke wie aus dem Nichts auftauchten – ohne dass es davor Vorgängerformen gab.
Vier Theorien und viele offenen Fragen
Inzwischen ist diese sogenannte „Große Unkonformität (Great Unconformity) an vielen Orten weltweit nachgewiesen. Meist beginnt sie ein Stück unterhalb der gut 540 Millionen Jahre alten Ablagerungen aus dem Kambrium. Doch die Ursache dieser Lücke ist heute kaum weniger rätselhaft als zur Zeit Darwins. Geologen vermuten, dass eine Phase der ungewöhnlich starken Erosion die fehlenden Schichten abgetragen haben muss. Die dadurch ins Meer gespülten Mineralien und Nährstoffe könnten gleichzeitig den Schub des Lebens im beginnenden Kambrium erklären.
Doch wann dies geschah und wodurch, ist strittig. Einer Theorie nach löste die Bildung des Urkontinents Rodinia vor rund 850 Millionen Jahren die Erosion aus, eine zweite sieht das Zerbrechen von Rodinia vor 800 bis 717 Millionen Jahren als Ursache. Eine dritte Theorie verknüpft die Unkonformität mit der „Schneeball Erde„-Phase, einer weltweiten Vergletscherung, die vor rund 717 Millionen Jahren begann. Deutlich später, in der Zeit des Ediacariums, siedelt dagegen die vierte Theorie die Lücke an und sieht tektonische Prozesse wie die Gebirgsbildung als Grund für die starke Erosion dieser Zeit.
Spurensuche in Colorado
Welche dieser Theorien stimmt, haben nun Rebecca Flowers von der University of Colorado in Boulder und ihre Kollegen versucht herauszufinden. Für ihre Studie analysierten sie eine Gesteinsformation in der Colorado Front Range, einem östlich der Rocky Mountains verlaufenden Nord-Süd-Gebirgszug. Dort sind Gesteinsschichten erhalten, die bis zu 1,7 Milliarden Jahre zurückreichen und daher Auskunft über das Timing und die Vorgeschichte der Großen Unkonformität geben können.
„Die Große Unkonformität zeigt sich hier durch kambrischen Sandstein, der direkt auf dem Granit der 1,7 Milliarden Jahre alten Pikes-Peak-Formation aufliegt“, berichten die Forscher. Anhand der Gesteinsabfolge und der Analyse und Datierung winziger Zirkonkristalle im Gestein haben sie ermittelt, wann die Granitschicht zuletzt durch Erosion freigelegt wurde. Denn dieser Zeitpunkt verrät, wann die Erosion die große Lücke erzeugte.
Erosion schon vor mehr als 717 Millionen Jahren
Das Ergebnis: An mehreren Stellen fanden die Geologen Spuren intensiver Verwitterung und Erosion der alten Granitschicht. „Das spricht für eine längere Exposition dieses Granits an der Oberfläche, bevor der Sandstein abgelagert wurde“, so Flowers und ihr Team. Die Zirkon-Datierung ergab, dass diese Phase der starken Erosion irgendwann zwischen der Zeit vor einer Milliarde Jahre und vor 717 Millionen Jahren begann.
Das aber bedeutet, dass die Große Unkonformität früher begann, als es die Schneeball-Erde-Theorie annimmt. „Unsere Ergebnisse belegen, dass die meiste Erosion unterhalb der Großen Konformität schon vor der ersten neoproterozoischen Schneeball-Phase begann“, sagen die Wissenschaftler. Die weltumspannende Vergletscherung kann demnach nicht der Auslöser der extremen Erosion und der dadurch verursachten Lücke in den Gesteinsschichten gewesen sein.
Plattentektonik statt Schneeball Erde
Was aber war dann der Grund? Nach Ansicht von Flowers und ihren Kollegen liefert die Plattentektonik die wahrscheinlichste Erklärung: „Unsere Ergebnisse sprechen entweder für die Bildung des Superkontinents Rodinia vor rund 850 Millionen als Ursache oder für den darauffolgenden Zerfall des Kontinents“, so die Forscher. Von solchen tektonischen Prozessen sei bekannt, dass sie im Laufe der Erdgeschichte immer wieder regional zu Ablagerungen, aber auch zur Abtragung von Gestein geführt haben.
Dazu würde passen, dass auch eine andere Forschergruppe vor einigen Jahren den Zerfall von Rodinia als prägenden Einschnitt identifiziert hat. Ihren Daten zufolge führte das Zerbrechen des Kontinents zu einer verstärkten Verwitterung und Erosion von Gestein und schwemmte enorme Mengen an Sediment in die Ozeane. Das wiederum entzog der Atmosphäre so viel Kohlendioxid, dass eine Vereisung einsetzte.
Regional statt global?
Und noch einer gängigen Annahme zur Großen Konformität widersprechen Flowers und ihr Team: Sie halten es für eher unwahrscheinlich, dass diese Lücke in den Ablagerungen tatsächlich auf einen einzigen, weltweit gleichzeitig ablaufenden Prozess zurückgeht. „Wir schlagen vor, dass es mehrere Große Unkonformitäten gibt, die sich ungleichzeitig entwickelten und die nicht ein globales Phänomen, sondern regionale tektonische Merkmale widerspiegeln“, so die Forscher.
Die Lage der weltweit auffallenden Lücken am Übergang zum Kambrium könnte dann damit erklärt werden, dass es gerade im Neoproterozoikum große tektonische Veränderungen gab: „In dieser Zeit wurden verschiedene Kontinentränder durch Kollisionen und Rifts beeinflusst, die durch die Bildung und den Zerfall der Superkontinente Rodinia und Pannotia/Gondwana entstanden“, so Flowers und ihr Team. Dies könnte ihrer Ansicht nach durchaus erklären, warum gerade zu dieser Zeit vielerorts Gesteinsschichten erodierten. (Proceedings oft he National Academy of Sciences (PNAS), 2020; doi: 10.1073/pnas.1913131117)
Quelle: University of California – Santa Barbara