Anna Hoagland ging es nicht gut. Sie hatte Fieber, lag mit einer Grippe im Bett und wartete darauf, dass ihr Mann endlich wiederkommen und nach ihr sehen würde. Die Zeit wurde ihr lang, was sie ihn auch wissen ließ, als er schließlich das Zimmer betrat.
Was steckt dahinter?
Es darf vermutet werden, dass sie ihre Ungeduld im Nachhinein bereute, denn die Klage über seine lange Abwesenheit brachte ihren Mann auf eine folgenreiche Idee, schließlich war Hudson Hoagland ein Wissenschaftler durch und durch. Er hatte an der Columbia University, am Massachusetts Institute of Technology und in Harvard Abschlüsse erworben. Er war in Cambridge, würde bald einen Lehrstuhl für Physiologie an der Clark University übernehmen und irgendwann die renommierte Worcester Foundation mitgründen.
Die Bemerkung seiner Frau machte ihn stutzig, denn nach der objektiven Maßgabe seiner Uhr war er nicht lange weg gewesen. Und da die Antwort auf das Unerwartete bei einem Forscher nun mal das Experiment ist, ging Hoagland dem ungewöhnlichen Zeitgefühl seiner Frau mit einem Versuch auf den Grund. Jedes Mal, wenn er ihre Temperatur gemessen hatte, ließ er sie die Dauer einer Minute abschätzen – insgesamt 30 Mal.
Fieber lässt die innere Uhr schneller ticken
Das Ergebnis: Für Anna Hoagland vergingen die Minuten fast doppelt so langsam wie für ihren gesunden Mann. Wenn der Sekundenzeiger seiner Uhr gerade mal eine Runde absolviert hatte, waren für sie gefühlt schon zwei Minuten verstrichen. Dabei tickte ihre innere Uhr scheinbar umso schneller, je höher ihr Fieber war.
Mit der Abhängigkeit des Zeitempfindens von der Körpertemperatur hatte der amerikanische Physiologe Hoagland Anfang der 1930er Jahre einen wichtigen Zusammenhang entdeckt. Offenbar hat der körperliche Erregungszustand einen starken Einfluss darauf, ob ein Moment als kurz oder lang erlebt wird. Daraus folgt, dass sich unsere Zeitwahrnehmung nicht einfach nur aus den objektiven Indikatoren unserer Umwelt ableitet, sondern zu einem nicht geringen Teil von uns selbst konstruiert wird.
Zeit ist relativ – nicht nur aus Sicht der Physik, sondern auch nach den Erkenntnissen der Psychologie und Hirnforschung. Die subjektive Dehnung des Moments im Falle von Fieber ist nicht viel mehr als eine unangenehme Erfahrung. Allerdings gibt es durchaus Situationen, in denen diese Verlangsamung einen ganz praktischen, ja geradezu lebensnotwendigen Nutzen hat.
Autor: Philippe Patra/ Forschungszentrum Jülich