Phänomene

Getaktetes Gehirn

Wie entsteht unser subjektives Zeitgefühl?

Für die Wissenschaft ist es derzeit immer noch eine offene Frage, wie genau unser Zeitgefühl funktioniert. „Es gibt verschiedene Theorien“, sagt Kai Vogeley, Professor für Psychiatrie und Psychologie an der Uniklinik Köln. „Aber was genau passiert, ist letztlich immer noch ungeklärt“.

Vogeley ist Sprecher des internationalen Kooperationsprojektes VIRTUALTIMES, das vom Forschungszentrum Jülich koordiniert wird. Das von der Europäischen Union geförderte Projekt widmet sich über einen Zeitraum von vier Jahren der Erforschung und Veränderung des Zeitgefühls.

Wie das VIRTUALTIMES-Projekt unser Zeitgefühl erforscht.© FZ Jülich

Herzschlag als Uhrzeiger?

„Es scheint so zu sein, dass Bewegung bei dem Erleben des Vergehens von Zeit eine wichtige Rolle spielt“, erklärt Vogely. „Außerdem gibt es neurobiologische Modelle, in denen beispielsweise der Herzschlag als eine Art Zeiger der inneren Uhr fungiert.“

Die Lösung des Rätsels ist dabei ebenso wenig trivial, wie die durch sie gewonnenen Erkenntnisse fundamental zum Verständnis der menschlichen Subjektivität beitragen dürften. Nach Marc Wittmann etwa, der ebenfalls am VIRTUALTIMES-Projekt beteiligt ist, hängen Selbstbewusstsein und Zeiterleben eng zusammen. „Körperlichkeit, Raum- und Zeitwahrnehmung sind die zentralen Determinanten, die uns selbstbewusst machen“, meint auch Vogeley.

Neurobiologische Zeit und freier Wille

Und für die Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens spielen jene neurobiologischen Prozesse, die unserem Zeitgefühl zugrunde liegen, ebenfalls eine wichtige Rolle. Das haben nicht zuletzt die vieldiskutierten Libet-Experimente Anfang der 1980er Jahre gezeigt. Der US-Neurophysiologe Benjamin Libet war eigentlich an den neuralen Mechanismen des Bewusstseins interessiert. Doch in seinen Experimenten stellte er fest, dass sich im Gehirn seiner Probanden ein Bereitschaftspotenzial für eine Handlung aufbaute, noch bevor den Versuchsteilnehmern die Entscheidung zum Ausführen der entsprechenden Handlung – dem Heben ihrer Hand – bewusst wurde.

Über die Interpretation seiner Ergebnisse entbrannte eine intensive wissenschaftliche Kontroverse. Während die einen den freien Willen durch Libets Experimente widerlegt sahen, bemängelten Kritiker, dass die Aufgabenstellung seines Versuches keinesfalls mit einer komplexen Entscheidung zu vergleichen sei. Libet selbst ging nicht so weit, den freien Willen gänzlich infrage zu stellen. Neuere Experimente zeigen zudem, dass es selbst nach dem Auftreten des Bereitschaftspotenzials noch eine kurze Zeitspanne mit der Chance zu einem bewussten Veto gibt.

Autor: Philippe Patra/ Forschungszentrum Jülich

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. 7
  16. |
  17. weiter
Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Unsere subjektive Zeit
Den Eigenheiten unseres Zeitgefühls auf der Spur

Fiebrige Zeit
Wie unser Zustand das Zeitempfinden verändert

Schock in Slow Motion
Wenn die Zeit sich endlos dehnt

Getaktetes Gehirn
Wie entsteht unser subjektives Zeitgefühl?

Was ist Gegenwart?
Innere Uhr und Zeitgefühl

Virtuelle Zeit
Mit der VR-Brille auf die innere Uhr geschaut

Wenn das Leben aus dem Takt gerät
Wie psychische Störungen unser Zeitgefühl verändern

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

keine News verknüpft

Dossiers zum Thema