Zerstörerische Architektur: Die Karies verursachenden Bakterien nutzen eine erstaunlich raffinierte Strategie. Denn sie erzeugen auf unseren Zähnen kuppelförmige Biofilme, in denen unter mehreren Schichten andere Bakterien geschützt sind, wie eine Studie enthüllt. Unter diesen Kuppeln können die Karies-Bakterien dann ungestört ihr Zerstörungswerk am Zahnschmelz verrichten – sie sind dort selbst gegen antimikrobielle Wirkstoffe gefeit.
Karies trifft fast jeden: Immerhin 2,3 Milliarden Menschen haben Löcher in den Zähnen oder Schäden am Zahnschmelz. Auslöser dafür sind Bakterien der Art Streptococcus mutans, die bei mangelnder Zahnhygiene hartnäckige Beläge auf der Zahnoberfläche bilden. Unter diesen Plaques erzeugen die Mikroben Säuren, die den Zahnschmelz angreifen und so zur Bildung der Karieslöcher führen. Doch wie die Karies-Bakterien den Zahnbelag bilden und welche anderen Mundbakterien daran beteiligt sind, war bislang kaum bekannt.
Erreger bilden Beläge in Kuppelform
Die Strategie der Karies-Mikroben haben deshalb nun Dongyeop Kim von der University of Pennsylvania in Philadelphia und seine Kollegen näher untersucht. Für ihre Studie analysierten sie zunächst die Mikrobenbeläge auf mehreren Zähnen, die man Kindern im Rahmen einer Zahnarztbehandlung gezogen hatte. Mithilfe von Fluoreszenzmarkern und konfokaler Lasermikroskopie machten sie die interne Struktur dieser Beläge sichtbar.
Das überraschende Ergebnis: Die Zahnbeläge waren größtenteils überraschend komplex strukturiert. Einige Biofilme ähnelten Seegraswiesen oder der knubbeligen Oberfläche eines Maiskolbens, andere eher einem stacheligen Igel. „Besonders auffallend war jedoch eine dreidimensionale kuppelförmige Struktur“, berichten die Forscher. Auf 21 der 30 untersuchten Zahnproben hatten Bakterien solche runden Kuppeln gebildet.
„Diese einzigartige Kuppel-Architektur erwies sich als Landmarke für die kommunale Organisation der Mikroben auf von Karies befallenen Zähnen“, berichten Kim und seine Kollegen.
Geschichteter Aufbau
Doch erst der Blick ins Innere dieser Biofilm-Kuppeln enthüllte deren raffinierten Aufbau: Die Gebilde bestehen demnach aus einem inneren Kern aus dicht an dicht gepackten Bakterien der Art Streptococcus mutans – der Karies-Erreger. Um diese herum liegen mehrere Außenschichten aus anderen, eher harmlosen Mundbakterien. Die im Zentrum dieser Kuppeln konzentrierten Karies-Erreger erzeugen dort durch ihren Abbau von Zuckern und anderen Nährstoffen das saure Milieu, das den Zahnschmelz schädigt.
Dass diese komplexe Struktur kein Zufall ist, belegten ergänzende Experimente. Denn sie enthüllten, dass die Karies-Erreger das Entstehen dieser Kuppelstrukturen aktiv fördern: Sie geben extrazelluläre Schleimfäden ab, die den Biofilm stabilisieren und als Gerüst für die kuppelförmigen Beläge dienen. Im Laufe der Zeit entstehen so aus den zunächst flachen Biofilmen die dreidimensional geschichteten Gebilde, wie Kim und sein Team herausfanden.
Schutz selbst gegen antibakterielle Mittel
Für die Karies-Bakterien haben diese komplexen Beläge einen doppelten Vorteil. Zum einen können die Erreger in diesem Mikrohabitat gezielt und abgeschirmt von der Umgebung die für sie günstigen, sauren Bedingungen erzeugen. Zum anderen aber schützen sie die Außenschichten dieses Biofilm-Konstrukts sogar vor antimikrobiellen Wirkstoffen, wie ein Versuch enthüllte.
Dafür behandelten die Forscher sowohl intakte als auch aufgerissene Kuppel-Beläge mit dem Wirkstoff Chlorhexidin. Dieses Antiseptikum wird bei der Zahnreinigung gegen bakterielle Beläge eingesetzt und ist auch in Mundspüllösungen enthalten. Das Experiment ergab jedoch: In den intakten Biofilm-Kuppeln waren die Streptokokken nahezu komplett gegen die desinfizierende Wirkung dieses Mittels geschützt. Nur bei den beschädigten Kuppelbelägen wurden die Karies-Erreger abgetötet.
Auf das „Wie“ kommt es an
Zusammengefasst bedeutet dies: Erst durch die raffinierte Struktur ihrer Beläge schaffen es die Karies-Erreger, sich so ungestört und erfolgreich an unseren Zähnen zu halten. Denn ihre einzigartigen Biofilm-Kuppeln bieten ihnen Schutz, schaffen ein für sie günstiges Milieu und bieten so beste Voraussetzungen, um ihr Zerstörungswerk zu verrichten. Nach Ansicht der Forscher ist es daher wichtig, beim menschlichen Mikrobiom immer auch dessen räumliche Struktur zu betrachten.
„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Biogeografie des Mikrobioms“, konstatieren Kim und sein Team. „Denn die räumliche Struktur von pathogenen und kommensalen Mikroben kann das lokale Schadenspotenzial bestimmen.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2020; doi: 10.1073/pnas.1919099117)
Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences