Genetik

Forscher entdecken „Schlankmacher“-Gen

Eine bei schlanken Menschen häufige Genmutation verstärkt die Fettverbrennung

Schlankmacher-Gen
Es gibt nicht nur Genvarianten, die eine Neigung zu Übergewicht fördern: Forscher haben ein schlankmachende Mutation entdeckt. © metamorworks/ iStock.com

Dünn machende Mutation: Wissenschaftler haben eine Genveränderung identifiziert, die auffällig oft bei sehr schlanken Menschen vorkommt – und die ihnen dabei helfen könnte, dünn zu bleiben. Denn diese Mutation im ALK-Gen steigert die Fettverbrennung, wie ergänzende Versuche mit Mäusen enthüllten. Das Interessante daran: Weil dieses Gen auch bei einigen Krebsarten eine Rolle spielt, gibt es schon Hemmstoffe dafür.

Es gibt Menschen, die können scheinbar alles essen, ohne dass sie nennenswert zunehmen. Andere dagegen müssen ein Schokostück gefühlt nur anschauen, damit das Hüftgold wächst. Solche Beobachtungen und auch familiäre Häufungen sprechen schon länger dafür, dass hinter Übergewicht und Adipositas mehr steckt als nur Lebensweise und Ernährung. Tatsächlich haben Wissenschaftler im menschlichen Erbgut schon mehr als 700 Mutationen identifiziert, die mit Übergewicht im Zusammenhang stehen.

Das Problem jedoch: Selbst wenn man all diese Genvarianten zusammennimmt, kann ihr gemeinsamer Effekt nur rund zwei bis drei Prozent der individuellen Spannbreite des menschlichen Körpergewichts erklären. Es liegt daher nahe, dass es noch weitere, bislang unerkannte genetische Einflussfaktoren gibt. Neben sogenannten epigenetischen Veränderungen könnten dies auch noch unbekannte Gene sein.

Fahndung unter Dünnen

Einen neuen Ansatz bei der Fahndung nach solchen Genen haben nun Michael Orthofer vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) gewählt: Statt nach genetischen Gemeinsamkeiten bei fettleibigen Menschen zu suchen, nahmen sie besonders dünne Menschen ins Visier. Dafür werteten sie die Gendaten von 47.102 Menschen im Alter von 20 bis 44 Jahren aus, die in der estnischen Biobank erfasst sind.

In ihrer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) verglichen die Forscher das Erbgut der Teilnehmer, deren Body-Mass-Index langfristig unter 18 lag – dies entspricht einem deutlichen Untergewicht – mit dem der Teilnehmer mit normalem oder erhöhtem Körpergewicht. „Übergewicht und dessen Genetik erforschen viele, deshalb wollten wir das Umgekehrte tun und stattdessen Schlankheit untersuchen“, sagt Seniorautor Josef Penniger vom IMBA.

Auffällige Häufung einer Mutation

Sie wurden fündig: Die Forscher stießen auf ein Gen, das bei den sehr schlanken Teilnehmern ihrer Studie auffallend oft verändert war: das Gen ALK. Bei den untergewichtigen Probanden war dieses Gen durch eine Mutation häufig in seiner Funktion blockiert oder eingeschränkt. Von diesem Gen war bislang nur bekannt, dass es die Bauanleitung für die Anaplastische Lymphom-Kinase trägt. Dieses Protein gehört zur Familie der Insulin-Rezeptoren und ist dafür bekannt, dass es bei einigen Krebsarten wie Lungenkrebs und Neuroblastom mutiert sein kann.

„ALK wurde deshalb im Zusammenhang mit Krebs intensiv untersucht, aber über die biologische Rolle dieses Gens außerhalb dieses Kontexts ist bislang nur wenig bekannt“, erklären Orthofer und seine Kollegen. Das weckte die Frage, auf welche Weise dieses Gen möglicherweise auf Stoffwechsel und Körpergewicht einwirkt.

Fettverbrennung angekurbelt

Eine Antwort fanden die Wissenschaftler bei ergänzenden Versuchen mit Mäusen, bei denen das ALK-Gen von Geburt an deaktiviert war. Es zeigte sich: Diese Tiere blieben im Verlauf ihres gesamten Lebens deutlich dünner als ihre normalen Artgenossen – obwohl sie genauso viel fraßen und sich auch genauso viel bewegten. Dieser Effekt verstärkte sich noch bei fettreicher Diät: Hier zeigte sich schon nach wenigen Wochen ein Unterschied von 50 Prozent beim Körperfett, wie die Forscher berichten.

Nähere Analysen ergaben, dass die Blockade des ALK-Gens bei den Mäusen zu einem Anstieg von freien Fettsäuren im Blutplasma führte, was auf eine verstärkte Fettverbrennung hindeutet. Zudem fanden die Wissenschaftler auch Hinweise darauf, dass ein auf den Fettstoffwechsel anregend wirkendes Hormon, das Noradrenalin, in den Fettgeweben der Tiere vermehrt vorkam. „Deswegen bleiben die Tiere dünner, selbst bei fettreicher Ernährung“, so Orthofer.

Schaltstelle sitzt im Gehirn

Das Überraschende jedoch: Entscheidend für diesen Effekt ist offenbar nicht die Ausschaltung des ALK-Gens in den Fettgeweben oder anderen Organen, sondern im Gehirn. „Als wir ALK spezifisch in der Gehirnregion des Hypothalamus deaktivierten, konnten wir dieselbe Gewichtsreduktion beobachten, wie bei den Tieren, bei denen ALK im ganzen Körper ausgeschaltet war“, erklärt Orthofer. „Das ist insofern interessant, weil der Hypothalamus eine zentrale Koordinationsstelle für den Stoffwechsel ist und via Noradrenalin die Fettverbrennung reguliert.“

Nach Ansicht der Forscher sprechen ihre Ergebnisse dafür, dass das ALK-Gen eine zuvor unbekannte Schaltstelle für die Nahrungsverwertung und den Energiekreislauf im Körper ist. Bei den Menschen, bei denen dieses Gen gehemmt oder deaktiviert ist, führt dies offenbar zu einem verstärkten Fettabbau – und dadurch bleiben sie schlank. Wie groß der genetische Effekt dieses einzelne Gens ist, müssen weitere Studien aber noch genauer klären.

Ansatzpunkt für Therapien gegen Adipositas?

Die neuen Erkenntnisse könnten möglicherweise auch einen neuen Ansatzpunkt für Therapien gegen Adipositas bieten. „Es ist durchaus realistisch, dass wir auch beim Menschen ALK blockieren oder seine Funktion reduzieren um zu sehen, ob wir dann schlank bleiben“, sagt Penninger. Denn in der Krebstherapie gebe es bereits Medikamente, die das ALK-Gen hemmen.

Allerdings ist dabei Vorsicht geboten, denn bislang ist nicht einmal im Ansatz klar, welche weiteren Funktionen das ALK-Gen noch hat und welche Folgen eine Hemmung hätte. „Bevor die Hemmung von ALK für die Behandlung von Adipositas beim Menschen in Erwägung gezogen werden kann, sind daher noch umfangreiche Untersuchungen zu möglichen Nebenwirkungen nötig“, betont Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in einem Kommentar. (Cell, 2020; doi: 10.1016/j.cell.2020.04.034)

Quelle: Cell Press, Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

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