Medizin

Dexamethason – neue Hoffnung gegen Corona?

Cortison-Mittel senkt Sterberate bei schwerkranken Covid-19-Patienten

Dexamethason
Das Cortison-Präparat Dexamethason kann die Sterberate von schwerkranken Covid-19-Patienten verringern.© shutterstock/ gemeinfrei

Die WHO spricht von „großartigen Nachrichten“, einige Forscher von einem Durchbruch: Einer britischen Studie zufolge kann das gängige Cortison-Medikament Dexamethason die Todesrate bei Covid-19 deutlich senken. Mit dem Mittel starben ein Drittel weniger schwerkranke, beatmete Patienten. Dexamethason hemmt offenbar die überschießende Immunreaktion, die bei vielen Covid-19-Fällen auftritt. Als Vorbeugung oder bei milden Verläufen wirkt das Medikament jedoch nicht, wie die Forscher betonen.

Schon länger ist klar: Gerade bei den schweren Verläufen von Covid-19 richtet nicht nur das Coronavirus verheerende Schäden in Lunge und anderen Organen an, auch das Immunsystem trägt dazu bei. Denn der Körper schüttet beim Virenangriff große Mengen an Immun-Botenstoffen, sogenannten Cytokinen, aus, die Entzündungen und den Zelltod fördern. Als Folge sterben in der Lunge, aber auch in anderen Organen massiv Zellen ab und es kann zum Organversagen kommen.

Mediziner vermuten, dass viele Covid-19-Patienten mit sehr schwerem Verlauf letztlich an diesem „Cytokinsturm“ sterben. Weil Cortison-Präparate die Immunreaktion dämpfen, gelten sie schon länger als mögliche Helfer gegen diese immunbedingte Entzündungsreaktion.

Mittel gegen den „Cytokinsturm“ gesucht

Ob und wie gut sie wirken, hat nun eine britische Studie, das sogenannte RECOVERY-Trial, untersucht. Insgesamt nahmen daran 11.500 Patienten aus 175 Krankenhäusern in Großbritannien teil. Ein Teil von ihnen erhielt das Mittel Tocilizumab, einen monoklonalen Antikörper, der gezielt die Andockstelle für das Cytokin Interleukin-6 blockiert. 2.104 andere Covid-19-Patienten bekamen täglich sechs Milligramm des gängigen Cortison-Wirkstoffs Dexamethason.

Dexamethason ist ein sogenanntes Glucocorticoid – ein Mittel, das ähnlich wie das natürliche Stresshormon Cortisol das Immunsystem dämpft und Entzündungsreaktionen hemmt. Als Infusion oder Tablette verabreicht, wird es bereits seit Jahren in Form verschiedenster Präparate bei entzündlichen Ekzemen, bei Arthritis oder in der Krebstherapie eingesetzt. Das Medikament ist demnach gut erforscht, günstig und in großen Mengen verfügbar.

Ein Drittel weniger Todesfälle bei beatmeten Patienten

Jetzt haben die Forscher erste Ergebnisse der RECOVERY-Studie zu Dexamethason veröffentlicht – wenn auch noch nicht als Fachpublikation. Demnach zeigt das Cortison-Mittel eine deutliche Wirkung bei schwerkranken Covid-19-Patienten. „Die vorläufigen Ergebnisse sind sehr klar: Dexamethason verringert das Sterberisiko bei den Patienten mit schweren Atemkomplikationen“, berichtet Martin Landray von der University of Oxford.

Unter denjenigen, die künstlich beatmet werden mussten, starben mit Dexamethason ein Drittel weniger als ohne die Behandlung. Von acht beatmeten Patienten würde demnach einer mehr überleben als durch die normale Intensivbehandlung, wie die Forscher berichten. Bei den Personen, die Sauerstoff erhielten, aber noch selbst atmeten, verringerte sich die Sterberate um ein Fünftel.

„Wichtiger Durchbruch“

Nach Ansicht der Forscher ist dies ein wichtiger Durchbruch. „Dexamethason ist der erste Wirkstoff, der nachweislich das Überleben bei Covid-19 verbessert“, sagt Landrays Kollege Peter Horby. „Das ist ein extrem willkommenes Ergebnis. Denn der Überlebensvorteil ist klar und deutlich bei den Patienten, die so krank sind, dass sie Sauerstoff bekommen müssen. Dexamethason sollte nun Standard in der Behandlung dieser Patienten werden.“

Ähnlich sehen es auch andere Wissenschaftler trotz der noch vorläufigen Daten. „Dies ist der erste große Durchbruch in der Therapie von Covid-19. Es demonstriert die Wirksamkeit eines einfachen, billigen und vertrauten Medikaments bei denen, die am schwersten betroffen sind“, kommentiert Simon Maxwell von der University of Edinburgh. „Auch wenn viele Intensivstationen ohnehin schon Glucocorticoide einsetzen, unterstreichen diese Ergebnisse, dass eine solche Behandlung vielen Patienten helfen kann.“

Hilft nicht bei mildem Verlauf

Allerdings: Wirksam ist Dexamethason nur bei schweren Verläufen von Covid-19 mit bereits bestehenden Atemproblemen. Bei milden Verläufen oder sogar zur Vorbeugung bringt diese Behandlung nichts: „Es ist wichtig anzumerken, dass wir keine Belege für eine positive Wirkung bei den Patienten fanden, die keinen Sauerstoff erhalten mussten“, betonen Landray und sein Team. Es macht daher keinen Sinn, dieses Mittel auf Verdacht einzunehmen, warnen Mediziner.

Der Grund ist einleuchtend: „Aus biologischer Sicht ist dieser Effekt nicht völlig überraschend, da insbesondere die schwer erkrankten Patienten unter einer überschießenden Immunreaktion leiden“, erklärt die nicht an der Studie beteiligte Infektiologin Maria Vehreschild vom Universitätsklinikum der Goethe-Universität Frankfurt. „Cortison ist ein klassischer Behandlungsansatz, um das Immunsystem zu unterdrücken. Überraschend ist aber die Stärke des nachgewiesenen Effektes.“

Remdesivir und Dexamethason können sich ergänzen

Damit könnte Dexamethason eine gute Ergänzung zum antiviralen Mittel Remdesivir bilden. Dieses wirkt bei fortgeschrittenen Fällen kaum noch, kann aber die Virenvermehrung im frühen Stadium der Infektion effektiv hemmen, wie Studien nahelegen. Es könnte daher Patienten verabreicht werden, die erst am Anfang der Covid-19-Erkrankung stehen. Dexamethason dagegen wirkt nicht gegen SARS-CoV-2, hemmt aber die überschießende Immunantwort, die für das Spätstadium vieler schwerer Covid-19-Verläufe typisch ist.

„Dies sind gute Neuigkeiten und ein wichtiger Schritt nach vorn, aber noch liegt ein langer Weg vor uns“, kommentiert Nick Cammack vom britischen Wellcome Trust. „Um die Corona-Pandemie zu beenden, benötigen wir noch bessere Diagnostika, mehr Medikamente zur Behandlung und Impfstoffe um Covid-19 zu verhindern.“ (RECOVERY Trial)

Quellen: University of Oxford, WHO, Nature News, Science Media Center

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