Eine Ewigkeit in einem kurzen Augenblick – für den französischen Schlafforscher Alfred Maury war dies im Jahr 1861 das Wesen der „Traumzeit“. Für ihn waren Träume nichts anderes als ein sekundenschnelles Flashback des Gehirns während des Erwachens. Ein eigenes Traumerlebnis hatte Maury auf diese Idee gebracht.
Sind geträumte Zeit und träumende Zeit gleichlang?
Der Wissenschaftler träumte einen scheinbar langen, verwickelten Traum, in dem er sich durch die Wirren der Französischen Revolution bewegte. In der letzten Traumszene sollte er hingerichtet werden und wurde zur Guillotine geführt. In dem Moment, als das Messer auf seinen Nacken herabfiel, wachte Maury auf – und stellte fest, dass ihm ein Teil seines Bettgestells auf den Hals gefallen war.
War der scheinbar so lange Traum vielleicht eine Illusion? Hatte in Wahrheit sein Bewusstsein in Sekundenschnelle gleichsam rückwirkend auf äußeren Reiz des Nackenschlags eine passende Traumgeschichte erschaffen? Maury und später auch Sigmund Freud glaubten genau dies. Für sie waren die gefühlte „Traumzeit“ und die reale Zeit in keinster Weise deckungsgleich.
Mit der Entdeckung des REM-Schlafs und der gezielten Traumforschung im Schlaflabor wurde diese Annahme jedoch schnell widerlegt: Weckversuche mit Probanden nach unterschiedlich langer Zeit im REM-Schlaf haben gezeigt, dass die Länge der Traumberichte mit der Länge der Traumschlaf-Phase gut übereinstimmt. Einzige Ausnahme: Menschen, die nach sehr langem REM-Schlaf geweckt werden, können sich trotzdem nur an die letzten 15 Minuten des Traums erinnern, obwohl sie das Gefühl haben, sehr lange geträumt zu haben. Offenbar war die Erinnerung an den Traumbeginn schon wieder verblasst.
Trauminhalte als Spiegel mit Verzögerung
Der Alltag und seine Verarbeitung spielt in vielen unserer Träume eine wichtige Rolle. Vor allem in der ersten Schlafphase sind es meist die Ereignisse desselben Tages, die im Traum wiederkehren. Doch gerade in der REM-Phase der zweiten Nachthälfte träumen wir oft von Geschehnissen oder Erfahrungen, die bereits einige Tage zurückliegen. Die unmittelbare Gegenwart dagegen taucht nur selten auf.
Der erste, der diese „Zeitverschiebung“ entdeckte, war der französische Neurophysiologe Michel Jouvet. Er war als einer der Pioniere der Traumforschung viel auf Vortragsreisen im Ausland unterwegs und hielt sich dabei meist etwa eine Woche an einem Ort auf. Da er regelmäßig seine eigenen Träume aufschrieb und analysierte, fiel ihm auf, dass er nach der Ankunft in einer neuen Stadt zunächst einige Tage lang noch immer hauptsächlich von Ereignissen seines letzten Reiseziels träumte. Erst nach sechs bis acht Tagen „holte“ der Traum auf und die neue Umgebung spiegelte sich nun auch in seinen Träumen wider.
Dass diese Verzögerung auch in anderen Fällen häufig aufzutreten scheint, zeigen unter anderem Untersuchungen des israelischen Schlafforschers Perez Lavie. Er überprüfte die verzögerte Aufnahme der Tagesereignisse in die Traumwelt während des ersten Golfkriegs, ein für die meisten Israelis mit akuter Bedrohung verbundenes Ereignis.
In den ersten Tagen, nachdem die ersten Scud-Raketen in Tel Aviv eingeschlagen waren, spielte der Krieg nur in den wenigsten Träumen seiner Probanden direkt oder indirekt eine Rolle. Auch die für jeden zur Grundausstattung gehörende Gasmaske tauchte kaum auf. Ein paar Wochen später jedoch hatte sich dies vollkommen geändert: In etwa der Hälfte aller Träume kamen nun Gasmasken, Raketen oder bedrohliche Situationen vor.
Noch allerdings haben die Schlafforscher für diese Zeitverzögerung keine eindeutige Erklärung. Weder, warum es sie gibt, noch, nach welchen Kriterien das Gehirn Ereignisse entweder sofort oder aber mit Verzögerung im Traum wieder aufgreift…