Zwillingsphotonen aus dem Atomkern: Kernphysiker haben eine neue, extrem seltene Form des radioaktiven Zerfalls bestätigt. Bei dieser setzt ein instabiler Atomkern zwei Photonen energiereiche Gammastrahlung auf einmal frei, statt wie normalerweise üblich nur ein Photon mit entsprechend höherer Energie abzugeben. Beobachtet und überprüft haben die Forscher diesen Doppelt-Gammazerfall nun am Isotop Barium-137.
Wenn ein radioaktives Isotop zerfällt, können verschiedenen Arten von Strahlung entstehen. Neben den für den Alpha- und Betazerfall typischen Heliumkernen und Elektronen kann dabei auch Gammastrahlung gebildet werden. Sie wird frei, wenn beim Zerfall ein angeregter Atomkern entsteht. Dieser gibt nach einiger Zeit seine Energie in Form eines energiereichen Gammastrahlen-Photons ab und fällt wieder in den Grundzustand zurück.
Zwei Photonen statt nur einem
Doch wie Kernphysiker vor fünf Jahren entdeckten, gibt es auch sehr seltene Zerfälle, bei denen der Atomkern seine überschüssige Energie in Form zweier gleichzeitig abgegebener Gamma-Photonen freisetzt. Eine solche Abgabe von Zwillingsphotonen galt lange als nur dann möglich, wenn der einfache Gammazerfall durch quantenmechanische Auswahlregeln verboten ist. 2015 jedoch beobachteten Forscher erstmals, dass dieser Doppelt-Gammazerfall (γγ/γ) auch dann möglich ist, wenn theoretisch ein einzelnes Photon reichen würde.
Jetzt hat ein internationales Forscherteam um Pär-Anders Söderström vom Hulubei National-Laboratorium bei Bukarest diesen kompetitiven Doppelt-Gammazerfall experimentell bestätigt und näher untersucht. Für ihr Experiment beobachteten die Kernphysiker den Zerfall des radioaktiven Isotops Barium-137 in einem speziellen Detektor, der aus elf sternförmig angeordneten Szintillatoren besteht. Diese Photonendetektoren erlaubten es, das genaue Timing der Gammaphotonen-Abgabe, aber auch ihre Richtung und die begleitenden elektromagnetischen Felder aufzuzeichnen.
Nur bei zwei Zerfällen von einer Million
Das Ergebnis: Die Messungen bestätigten, dass das Barium-Isotop tatsächlich manchmal zwei Gamma-Photonen auf einmal abgibt statt nur eines. Demnach kann der Doppelt-Gammazerfall auch dann eintreten, wenn ein Atomkern theoretisch nur ein Gammaquant abgeben müsste. Er tritt aber nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 2,62 zu einer Million auf, wie Söderström und seine Kollegen berichten.
Gleichzeitig enthüllten die neuen Messungen, dass die angeregten Atomkerne bei dieser seltenen Zerfallsart elektromagnetisch anders polarisiert sind als gedacht. Zuvor hatten Kernphysiker angenommen, dass sowohl die elektrische wie die magnetische Feldkomponente einem Quadrupol entspricht – also vier Pole hat. Doch wie Söderström und sein Team jetzt beobachteten, handelt es sich beim γγ/γ Zerfall des Barium-Isotops um eine Kombination von elektrischer Oktupol- und magnetischer Dipolstrahlung
Neue Einblicke in die Atomkernstruktur
Diese Beobachtung steht im Widerspruch zu einfachen Kernstrukturmodellen. Doch ergänzende kernphysikalische Modellrechnungen bestätigten diese komplexere Zusammensetzung des Doppelt-Gammazerfalls. Sie belegen, dass die γγ/γ-Zerfallsprozesse sehr sensitiv auf die Interaktion von Protonen und Neutronen in einem Atomkern reagieren. Damit jedoch eröffnen diese seltenen Zerfälle auch eine neue Möglichkeit, die noch immer erst teilweise entschlüsselte Struktur der Atomkerne näher zu ergründen, wie die Forscher erklären. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-16787-4)
Quelle: Technische Universität Darmstadt