Siegeszug einer Mutante: Eine mutierte Form des Coronavirus hat sich im Verlauf der Corona-Pandemie rasant ausgebreitet und die ursprüngliche Form nahezu verdrängt. Inzwischen tragen knapp 80 Prozent aller infizierten Menschen weltweit die neue G614-Variante in sich. Ursache dieses Erfolgs ist eine deutlich höhere Infektiosität, wie Experimente ergaben. Das mutierte Virus kann sich drei- bis sechsmal besser in menschlichen Zellen vermehren. Kränker macht es aber offenbar nicht.
Dass Viren im Laufe der Zeit mutieren, ist nichts Ungewöhnliches, das gilt auch für das Coronavirus SARS-CoV-2. Schon vor mehreren Wochen haben Wissenschaftler durch Genomvergleiche zahlreiche Mutationen des Virus identifiziert. Eine davon betrifft das Spike-Protein, das Oberflächenprotein, mit dem das Coronavirus an menschliche Zellen bindet. Bei der neuen G614-Variante des Virus ist an einer Stelle dieser Struktur die Aminosäure Asparagin gegen Glycin ausgetauscht.
Schon im April 2020 gab es erste Hinweise darauf, dass sich diese G614-Form von SARS-CoV-2 besonders erfolgreich ausbreitet. „Wann immer diese Mutation eine Population erreichte, nahm ihre Häufigkeit rapide zu und in vielen Fällen wurde sie in nur wenigen Wochen die dominante Form“, berichteten Bette Korber vom Los Alamos National Laboratory, New Mexico und ihre Kollegen. Auch in Deutschland hat die G614-Form die ursprüngliche D614-Form abgelöst.
Mutiertes Virus ist jetzt die weltweit dominante Form
Jetzt gibt es neue Erkenntnisse zur Ausbreitung dieser Virus-Mutante und ihrer möglichen Folgen. Demnach hat die G614-Variante von SARS-CoV-2 ihren Siegeszug noch weiter fortgesetzt. „Die Variante mit dem Aminosäure-Wechsel ist zur häufigsten Form in der globalen Pandemie geworden“, berichten Korber und ihr Team. „Selbst dort, wo die ursprüngliche D614-Form vor Entstehung von G614 gut etabliert war, hat ein Wechsel stattgefunden.“
Den Auswertungen zufolge fand sich die mutierte Form vor dem 1. März 2020 nur in rund zehn Prozent der weltweit registrierten Sequenzen von SARS-CoV-2. Beim Rest der Infektionen dominierte noch die ursprüngliche D614-Form. Bis Ende März jedoch wuchs der Anteil der mutierten G614-Variante auf 67 Prozent und bis Mitte Mai machte sie schon 78 Prozent aller weltweit sequenzierten Isolate des Coronavirus aus.
„Im Prinzip bedeutet diese globale Expansion, dass nun diese G614-Virusvariante die Pandemie treibt“, sagt Nathan Grubaugh von der Yale University in einem begleitenden Kommentar.
Von China über Deutschland nach Europa
Es gibt auch erste Hinweise dazu, wo und wann diese Mutante von SARS-CoV-2 entstanden ist. „Die frühesten Beispiele, die Teile der vier Mutationen umfassenden Genomtyps trugen, wurden Ende Januar in China und in Deutschland nachgewiesen“, berichten Korber und ihre Kollegen. „Sie besaßen bereits drei der vier RNA-Mutationen, die diesen Typ definieren.“ Das legt nahe, dass diese Mutationen in einem Patienten in China gebildet wurden und dann mit der ersten Einschleppung nach Deutschland gelangten.
Einmal in Europa angekommen, akquirierte das Coronavirus dann noch eine vierte Mutation, die zusammen mit den restlichen Mutationen die Veränderungen im Spike-Protein optimierte. Die erste Virus-Variante, die alle vier Mutationen besaß, wurde am 20. Februar in Italien nachgewiesen. Von dort aus verbreitete sie sich rasant: „Innerhalb von Tagen wurde dieser Haplotyp in vielen Ländern in Europa gefunden“, berichten die Wissenschaftler.
Höhere Virenlast bei Infizierten
Was aber macht diese Virus-Mutante so erfolgreich? „Wir konnten schon in unserer ersten Studie sehen, dass die G614-Variante zur dominanten Form wurde, aber wir konnten nicht feststellen, welche der möglichen Ursachen diesem Zugewinn an Fitness zugrunde liegt“, sagt Korber. Sie und ihr Team haben daher zunächst bei 999 Covid-19-Patienten im britischen Sheffield untersucht, ob sich klinische Unterschiede zeigen.
Das Ergebnis: Patienten, die mit der G614-Mutante von SARS-CoV-2 infiziert waren, trugen im Schnitt eine höhere Virenlast im Körper. „Wir fanden aber keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Mutations-Status und der Schwere der Erkrankung und des Verlaufs“, betonen die Wissenschaftler. Zudem wird die mutierte Virenvariante offenbar genauso effektiv von neutralisierenden Antikörpern bekämpft wie die ursprüngliche Form, wie Labortests mit Antikörpern aus dem Serum genesener Patienten ergaben.
Verbesserte Infektiosität
Entscheidende weitere Hinweise liefern nun Laborexperimente eines Teams um Erica Ollmann Saphire vom La Jolla Institute for Immunology in Kalifornien und David Montefiori von der Duke University in North Carolina. Sie haben Zellkulturen im Labor mit mutierten und nicht mutierten Formen von SARS-CoV-2 infiziert. Das Ergebnis: „Virenpartikel mit der G-Form des Spike-Proteins waren drei- bis sechsmal infektiöser“, berichten die Forscher. Der G614-Varianten scheint es demnach leichter zu fallen, menschliche Zellen zu entern und sich in ihnen zu vermehren.
Das könnte die höhere Virenlast der betroffenen Patienten und die schnelle Ausbreitung dieser Mutante erklären. „Die in vitro-Ergebnisse stützen die klinischen Beobachtungen – beide deuten daraufhin, dass Viren mit der G614-Mutation sich in menschlichen Zellen stärker vermehren können“, kommentiert Grubaugh. „Aber was wir noch nicht sagen können ist, ob diese Mutante auch leichter übertragbar ist und die Pandemie verschlimmert.“
Was bedeutet dies für die Pandemie?
Ähnlich sieht es auch Bette Korber: „Infektiosität und Übertragbarkeit sind nicht zwangsläufig synonym“, erklärt die Virologin. So kann es zwar sein, dass Träger der neuen G614-Form mehr Viren ausstoßen und daher mehr Menschen anstecken. Denkbar wäre aber auch, dass die Übertragbarkeit zwar gleichbleibt, sich das Virus aber nach der Übertragung effektiver im Körper vermehren kann – und daher andere Mutanten verdrängt.
Immerhin gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass die G614-Mutation das Spike-Protein des Coronavirus so stark verändert, dass die zurzeit entwickelten Impfstoffe nicht mehr wirken. „Wir erwarten bisher nicht, dass der Wechsel von D614 zu G614 unsere Kontrollmaßnahmen beeinträchtigt oder individuelle Verläufe schlimmer macht“, betont Grubaugh. (CEll, 2020; doi: 10.1016/j.cell.2020.06.043)
Quelle: Cell Press, Los Alamos National Laboratory