Meteorologische Nebenwirkung: Seit Beginn der Corona-Pandemie sind die Wetterberichte vielerorts ungenauer geworden – weil die Wetterdaten von Verkehrsflugzeugen fehlen. Teilweise liegen die mittelfristigen Temperaturvorhersagen dadurch um bis zu 1,5 Grad daneben. Westeuropa ist wegen seiner hohen Dichte an Wetterstationen zwar weniger abhängig von Flugzeugdaten, aber die Lücken im Datennetz machen auch hier langfristige Prognosen von Wetterextremen schwieriger.
Der tägliche Wetterbericht ist nicht nur für unsere persönliche Tagesplanung wichtig, sondern auch für die Landwirtschaft, die Schiff- und Luftfahrt oder die Stromversorger. Denn das Wetter entscheidet beispielsweise mit darüber, wie viel Strom Wind- und Solaranlagen ins Stromnetz einspeisen und wie stark das Netz dies abpuffern muss. Basis der Wetterberichte sind neben den meteorologischen Modellen und Satellitenaufnahmen auch die Daten von tausenden Wetterstationen weltweit.
680.000 Wetterdaten pro Tag – normalerweise
Doch es gibt noch eine entscheidende Datenquelle: Wetterdaten, die von Sensoren an Verkehrsflugzeugen regelmäßig gemessen und zur Erde gefunkt werden. Mehr als 3.500 Flugzeuge von rund 40 verschiedenen kommerziellen Fluglinien nehmen an diesem Programm der World Meteorological Organiziation (WMO) teil. Sie liefern pro Tag mehr als 680.000 Daten zu Temperatur und Windbedingungen – normalerweise.
„Diese Beobachtungen werden von den Flugzeugen auf Reiseflughöhe alle paar Minuten übermittelt, bei Start und Landung sogar alle paar Sekunden“, erklärt Ying Chen von der Lancaster University. Das Problem jedoch: Seit Beginn der Corona-Pandemie hat der Flugverkehr weltweit um 50 bis 75 Prozent abgenommen. Ab Ende März haben 20 kommerzielle Airlines ihren Flugverkehr komplett gestoppt, zwölf weitere haben alle internationalen Flüge ausgesetzt.
Die Folge: Auch die Zahl der Wetterdaten hat sich dadurch drastisch reduziert. Allein die während Start und Landung ermittelten Höhenprofile haben von 102.000 pro Woche im Februar 2020 auf nur noch 26.000 in der letzten Aprilwoche abgenommen, wie Chen berichtet.
Abweichungen von bis zu 1,5 Grad
Welche Folgen dies für die Präzision der Wetterberichte weltweit hat, hat der Forscher jetzt näher untersucht. Dafür überprüfte er im Nachhinein, wie gut die kurz- und mittelfristigen Wetterberichte Temperatur, Wind und Niederschlag im Vergleich zu den realen Bedingungen vorhergesagt hatten. Diese Treffsicherheit verglich er für den Zeitraum März bis Mai 2020 gegenüber März bis Mai der Vorjahre 2017 bis 2019.
Das Ergebnis: „Die Genauigkeit der Wettervorhersagen ist im März bis Mai 2020 bemerkenswert deutlich abgesunken“, berichtet Chen. Im Schnitt kommt es zu Abweichungen von bis zu 1,5 Grad bei den Temperaturen und auch die Windvorhersage ist ungenauer. Während die kurzfristigen Prognosen für die nächsten 24 bis 96 Stunden trotz der Datenlücken noch relativ präzise waren, machten sich die fehlenden Daten bei den mittelfristigen Vorhersagen deutlich stärker bemerkbar.
Europa ist weniger betroffen
Dabei gibt es jedoch große regionale Unterschiede: „Entlegene Regionen wie Grönland, Sibirien, die Sahara und die Antarktis sind stark betroffen“, sagt Chen. „Das liegt daran, dass es dort nur wenige konventionelle Wetterstationen gibt, weshalb die Flugzeugdaten einen wichtigen Anteil der Datenbasis ausmachen.“ Ebenfalls deutliche Einbußen bei der Treffsicherheit der Wetterberichte gibt es über Regionen mit normalerweise starkem Flugverkehr wie Nordamerika, Australien und dem Südosten Chinas. Auch dort sind die Flugzeugdaten eine wichtige Ergänzung.
Anders ist dies in Europa: Vor allem in West- und Mitteleuropa ist die Dichte der bodenbasierten Wetterstationen besonders hoch. Auch wenn der Flugverkehr in Europa durch die Corona-Pandemie sogar um 80 bis 90 Prozent eingebrochen ist, hatte dies daher kaum Auswirkungen auf die Präzision der Wettervorhersagen. „Weil das Stationsnetz und die davon gelieferten Daten das Beobachtungsnetz quasi schon gesättigt haben, bedeuten die Flugdaten hier kaum noch eine Verbesserung“, so Chen.
Vorhersage von Wetterextremen weltweit erschwert
Allerdings: Selbst wenn bei uns die Wettervorhersage treffsicher geblieben ist, haben die Lücken im weltweiten Wetterdatennetz dennoch weitreichende Auswirkungen. Denn viele Wetterlagen und Phänomene entwickeln sich nicht lokal, sondern hängen von großräumigen Luftströmungen und Prozessen ab. Wenn das globale Datennetz stellenweise unvollständig ist, kann dies daher vor allem die längerfristige Einschätzung des Wettergeschehens beeinträchtigen.
Zudem ist die Corona-Pandemie noch nicht vorbei. Auch wenn bei uns der Flugverkehr allmählich wieder anläuft, weil die Infektionszahlen niedrig sind, gilt dies für andere Gebiete der Welt nicht. Vor allem in den USA, aber auch in Südamerika und Südasien steigen die Covid-19-Fallzahlen weiter rasant und Lockdowns sind in Kraft. „Eine weitere Verschlechterung der Vorhersagen ist daher zu erwarten und der Fehler könnte für die langfristige Vorhersagen noch größer werden“, erklärt Chen. Die sich vertiefenden Datenlücken könnten dadurch vor allem die Prognose von Extremwetter-Ereignissen stark erschweren.
Nach Ansicht des Forschers unterstreicht dies, wie wichtig es ist, das Netz der bodenbasierten Wetterstationen weiter auszubauen – auch in dünn besiedelten Regionen. „Das wird uns helfen die Auswirkungen solcher Ereignisse auch in Zukunft besser abzupuffern“, sagt Chen. (Geophysical Research Letters, 2020; doi: 10.1029/2020GL088613)
Quelle: American Geophysical Union