Unerwartete Auferstehung: Einige Mikroben können selbst nach 100 Millionen Jahren Ruhepause wieder aufwachen und sich vermehren, wie Forscher entdeckt haben. Sie hatten Bakterien aus 100 Meter tiefen Sedimentschichten unter dem Meeresboden geborgen und auf Nährböden gesetzt. Schon drei Tage später hatten die sich anfangs scheinbar toten Mikroben um das bis zu 10.000-Fache vermehrt.
Sie sind fast überall: Bakterien und Archaeen finden sich selbst 2.500 Meter tief unter der Erdoberfläche und hunderte Meter unter dem Meeresgrund. Doch wie die Mikroben es schaffen, dort ohne Licht, mit kaum Nährstoffen und unter hohem Druck zu überleben, ist weitgehend unbekannt. Tatsächlich scheinen viele dieser Funde entweder in Zeitlupe zu leben oder gar keine Stoffwechselaktivität zu zeigen. Ob sie jedoch tot sind oder nur in einer Art Lebenspause überdauern, blieb bislang offen.
Tote Zellen oder doch noch lebendig?
Das haben nun Yuki Morono von der japanischen Agentur für Meeresforschung und Technologie (JAMSTEC) und seine Kollegen untersucht. Dafür nahmen sie Proben aus einem Sedimentbohrkern, der aus dem Meeresgrund der pazifischen Tiefsee entnommen worden war. Die Schichten stammten aus 6000 Meter Wassertiefe und bis zu hundert Meter Tiefe im Sediment und waren zwischen knapp fünf und gut 100 Millionen Jahre alt.
Die Forscher setzten Proben aus der ältesten und jüngsten Schicht auf verschiedene Nährböden und inkubierten sie mehrere Tage lang. Isotopenmarkierte Stickstoff- und Kohlenstoffatome ermöglichten es ihnen, nachzuvollziehen, ob die Mikroben die Nährstoffe aufnahmen. Die in den Proben vorhandene Zelldichte war anfangs mit 100 bis 3000 Zellen sehr gering und es gab keine klaren Anzeichen dafür, dass sie überhaupt noch lebten. „Ich war zuerst sehr skeptisch“, sagt Morono.
„Auferstehung“ nach 100 Millionen Jahren
Doch dann geschah das Überraschende: Innerhalb von 68 Stunden erwachten die meisten dieser Tiefseemikroben wieder zum Leben und begannen sich rapide zu vermehren. Ihre Zellzahl vervielfachte sich in dieser Zeit um das bis zu 10.000-Fache. „Wir haben festgestellt, dass selbst in dem vor 100 Millionen Jahren deponierten Sediment noch bis zu 99,1 Prozent der Mikroben lebendig waren und offenbar nur auf Nahrung gewartet haben“, sagt Morono.
Ungewöhnlich auch: Nähere Untersuchungen ergaben, dass die Millionen Jahre alten bakterienhaltigen Schichten schon kurz nach ihrer Ablagerung durch undurchlässige Deckschichten vom jüngeren, darüberliegenden Sediment abgeriegelt wurden. Das bedeutet, dass diese Bakterien möglicherweise noch aus dem Zeitalter der Dinosaurier stammen und seither isoliert waren.
Überdauerungs-Strategie noch rätselhaft
Wie aber haben sie so lange überlebt? Die Forscher vermuten, dass diese Bakterien im tiefen Meeresgrund in einer Art Lebenspause mit extrem wenig Stoffwechselaktivität überdauert haben. Denn im Sediment sind sowohl Kohlenstoff als auch Sauerstoff in geringen Menge vorhanden, was für ein Leben auf Sparflamme gereicht haben könnte. „Aber die Mechanismen, die das mikrobielle Überleben im Sediment unter dem Meeresgrund erlauben, sind bislang weitgehend unerforscht“, sagen Morono und seine Kollegen.
Genetische Analysen enthüllten zudem, dass überraschend wenige dieser Tiefseemikroben zu den sporenbildenden Bakterien gehören – und damit zu Arten, von denen eine lange Überdauerung in Ruhestadien bekannt ist. Wie sie es schaffen, Millionen Jahre lang auf bessere Bedingungen zu warten, ist daher bislang ein Rätsel.
„Das aufregendste an dieser Studie ist: Sie zeigt, dass es keine Grenzen für das Leben in den alten Sedimenten des Ozeans zu geben scheint“, sagt Koautor Steven D’Hondt von der University of Rhode Island. „Selbst in den ältesten Sedimenten, die wir erbohrt haben, in denen es kaum Nahrung gibt, gibt es trotzdem lebende Organismen – und sie können aufwachen, wachsen und sich vermehren.“ (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-17330-1)
Quelle: JAMSTEC