Medizin

Die Leber funktioniert anders als gedacht

Diffusion statt Fluss verteilt Gallenbestandteile in den feinsten Kanälchen

Gallenkanäle
In den kleinsten Gallenkanälchen gibt es entgegen der Lehrmeinung keine Strömung – die Gallensubstanzen diffundieren nur. Hier zu sehen sind die Gallenkanälchen einer Maus. © Vartak/ IfADo

Überraschende Entdeckung: Die Galle bewegt sich in unserer Leber anders als gedacht. Statt schon in den kleinsten Kanälchen zu fließen, steht die Gallenflüssigkeit dort still, wie Forscher jetzt erstmals beobachtet haben. Demnach breiten sich die Gallenbestandteile per Diffusion von diesen kleinen Leberkanälen bis in die größeren Abflussgänge aus. Diese Erkenntnis könnte helfen, Lebererkrankungen in Zukunft besser zu behandeln.

Im Alltag nehmen wir durch Nahrung, Medikamente oder Chemikalien ständig giftige Fremdstoffe auf, die die Leber aus dem Blut entfernt und abbaut. Die Leberzellen scheiden die Reststoffe über die Galle in ein Kanalsystem aus: Unzählige Gallenkanälchen enden in größeren Gallengängen, die sich zu Röhren vereinigen und in den Darm münden. Dorthinein gelangen auch die von der Galle produzierten Salze. Ist das Kanalsystem undicht, gelangt giftige Galle ins Gewebe. Das kann zu schweren Entzündungen führen.

Fließen als gängige Annahme

Für die Therapie von derartigen Erkrankungen ist es wichtig zu verstehen, wie die Galle transportiert wird. Mit den herkömmlichen medizinischen Methoden lassen sich aber Abläufe wie in den Gallenkanälchen kaum untersuchen. Seit Ende der 1950er Jahre wird lediglich spekuliert, dass die Galle in den Kanälchen fließt. Demnach würden die Gallensalze osmotisch Wasser von den Leberzellen in die Gallenkanälchen ziehen, die nur in Richtung der Gallenröhren offen sind. So entstehe ein Fluss. Direkt gemessen wurde dieser Fluss jedoch noch nie.

Ob die Galle tatsächlich in den Kanälchen fließt, haben nun Forscher um Nachiket Vartak von der TU Dortmund überprüft. Ihnen ist es mithilfe von komplexen Mikroskopiemethoden und mathematischen Berechnungen gelungen, Fluoreszenzsignale für sehr kleine Geweberegionen – wie in den Gallenkanälen – bildlich zu erfassen und zu analysieren. So konnten die Forschenden genau bestimmen, wie sich Moleküle in den Gallenkanälchen bewegen.

Diffusion statt Fließbewegung

Es zeigte sich, dass es in den kleinsten Leberkanälen überhaupt keinen messbaren Fluss gibt – entgegen der gängigen Lehrmeinung. Stattdessen diffundieren die Moleküle der Galle von den Kanälchen zu den größeren Abflussröhren. Sie breiten sich demnach aus wie ein Tropfen Tinte im Wasserglas. Erst in den größeren Gängen wird Wasser zugeleitet und es entsteht ein Fluss.

„Man kann sich die Gallenkanälchen wie einen Teich vorstellen, der mit einem Fluss verbunden ist. Das Wasser im Teich steht, während es im Fluss fließt“, erklärt Vartak. „Kippt man Tinte in den Teich, gelangt diese letztlich in den Fluss. Aber sie fließt nicht dorthin, sondern diffundiert.“

Dieses Ergebnis bestätigten die Forscher mit einer unabhängigen zweiten Methode. Mithilfe der Intravitalmikroskopie filmten sie in eine intakte Leber hinein und beobachteten, wie eine fluoreszierende diagnostische Substanz per Diffusion durch die Gallenkanälchen der Leber transportiert wird. Diese Substanz wird erst dann in bestimmten Geweberegionen sichtbar, wenn sie mit energiereichem Licht angestrahlt wird.

Wie der Gallentransport in der Leber funktioniert.© Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund

Perspektivwechsel in der Medizin

Um die beste Therapiestrategie bei Lebererkrankungen wie der Fettleberentzündung zu finden, sei der Unterschied zwischen Fluss und Diffusion relevant, so die Experten. Bisher ging man davon aus, dass der Fluss in den Gallenkanälen bei krankheitsbedingten Verengungen der Kanäle gestoppt wird. Dadurch baue sich ein Druck auf, der das Lebergewebe schädigen würde. Medikamente, die den vermuteten Fluss senken, sollten auch den vermeintlich schädigenden Druck reduzieren.

Doch das aktuelle Forschungsergebnis fordert eine neue medizinische Herangehensweise: „Wichtiger wäre es, sich auf die molekularen Mechanismen zu konzentrieren, die dazu führen, dass Gallenwege undicht werden und so Krankheiten entstehen“, so Vartak.

Ähnlich sieht es sein Kollege Jan Hengstler: „Unsere neuen Erkenntnisse erfordern eine wissenschaftliche Debatte in der Leberforschung, die zu einer Anpassung der Lehrmeinung an die neue Beobachtung führen wird. Es bleibt zu hoffen, dass so langfristig Fortschritte bei der Therapie von Lebererkrankungen erzielt werden.“ (Hepatology 2020; doi: 10.1002/hep.31422)

Quelle: Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund

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