Evolution

Bandscheiben sind keine Erfindung der Säugetiere

Fossil-Analysen widerlegen gängige Lehrmeinung zu bandscheibenlosen Sauriern

Tyrannosaurus
Viele Dinosaurier, wie hier der Tyrannosaurus, besaßen bereits echte Bandscheiben – die Knorpelpuffer sind demnach keine "Erfindung" der Säugetiere. © Zissoudisctrucker /CC-by-sa 4.0

Überraschend anders: Entgegen gängiger Lehrmeinung sind Bandscheiben keine Erfindung der Säugetiere, wie nun Fossil-Analysen enthüllen. Stattdessen gab es diese faserigen „Stoßdämpfer“ der Wirbelsäule schon bei Raubdinosauriern wie dem Tyrannosaurus, bei Meeressauriern und weiteren urzeitlichen Reptilien. Die anatomischen Vergleiche legen sogar nahe, dass Bandscheiben sogar ein ursprüngliches Merkmal sind, das dann im Laufe der Evolution mehrfach umgebildet oder reduziert wurde.

Unsere Bandscheiben bestehen aus einem knorpeligen Faserring mit einem Gallertkern. Erst diese elastischen Puffer zwischen den Wirbelknochen machen unsere Wirbelsäule beweglich und dienen gleichzeitig als Stoßdämpfer. Lange galt diese Konstruktion als Alleinstellungsmerkmal der Säugetiere. Allerdings ist sie nicht perfekt: Wir Menschen erkaufen uns die Beweglichkeit der Wirbelsäule mit einer Neigung zu Bandscheibenvorfällen.

Bandscheiben
Wirbelgelenke und Bandscheiben (IVD) bei verschiedenen Tiergruppen. © Wintrich et al./ Scientific Reports, CC-by-sa 4.0

Kugelgelenk statt Knorpelpuffer

Anders ist dies bei den heute lebende Reptilien und Vögeln: Bei ihnen sind die Wirbelknochen mit Kugelgelenken verbunden – die halbkugelige Ausbuchtung eines Wirbels greift in eine mit Knorpel ausgekleidete Ausbuchtung seines Nachbarn. „Die einzigen Ausnahmen ohne dieses Kugelgelenk sind unter den rezenten Reptilien die Brückenechsen und einige Geckos“, erklären Tanja Wintrich von der Universität Bonn und ihre Kollegen.

Doch wie sah es bei den Sauriern der Urzeit aus? Bislang gingen Paläontologen davon aus, dass auch deren Wirbelsäulen entweder Kugelgelenke oder andere bandscheibenlose Konstruktionen besaßen. Ob das stimmt, haben nun Wintrich und ihre Team erstmals näher überprüft. Für ihre Studie analysierten sie die fossilen Wirbelknochen von 19 verschiedenen Urzeit-Reptilien. Darunter waren frühe Formen wie Dimetrodon und Diadectes, aber auch Urzeitschildkröten, verschiedene Meeressaurier und zweibeinig laufende Raubdinosaurier.

Knorpelstrukturen schon bei den urtümlichsten Reptilien

Das überraschende Ergebnis: Viele Saurier hatten kein Kugelgelenk, sondern ebenfalls verschiedene Formen von Bandscheiben in ihrer Wirbelsäule. Darauf deuten die Formen ihrer Wirbelknochen, aber auch Reste von Knorpelringen und Kollagenfasern hin. „Es ist wirklich erstaunlich, dass der Knorpel des Gelenks und anscheinend sogar die Bandscheibe selbst sich über hunderte Millionen Jahre erhalten kann“, sagt Wintrichs Kollege Martin Sander.

Die Fossilien enthüllen, dass die urtümlichsten Reptilien bereits eine einfache Form von knorpeliger Verbindung zwischen den Wirbelkörpern besaßen. Bei ihnen zog sich ein segmental eingekerbter Knorpelstab sogar durch den gesamten Rücken – dies zeugt von der Entstehung der Bandscheiben aus der Chorda, dem knorpeligen Vorläufer der Wirbelsäule. „Dies scheint der plesiomorphe Ausgangszustand zu sein, aus dem sich alle anderen Wirbelgelenkstypen der Amnioten entwickelten“, so die Forscher.

Fischsaurier-Wirbel
Dieser Dünnschliff zeigt Bandscheibenreste in der Wirbelsäule eines 180 Millionen Jahre alten Fischsaurier-Fossils. © Tanja Wintrich/ Universität Bonn

T.rex und Co hatten Bandscheiben

Deutlich weiter entwickelt waren dagegen die Bandscheiben von Meeressauriern, den meisten Dinosauriern sowie den Urzeitkrokodilen. Diese besaßen ähnlich wie wir eine Bandscheibe aus einem stabileren Knorpelring mit gallertartigem Kern, wie die Forscher berichten. Die Wandlung von der einfachen Knorpelstruktur zur Bandscheibe fandedabei in diesen Linien mehrfach unabhängig voneinander statt.

„Wir haben herausgefunden, dass sogar Tyrannosaurus rex demnach nicht vor Bandscheibenvorfällen geschützt war“, sagt Wintrich. Erst vogelartige Raubdinosaurier wie die Dromaeosauriden entwickelten dann Kugel- und Sattelgelenke in ihrer Wirbelsäule, wie sie auch bei den heutigen Vögeln vorkommen. Ebenfalls auf die stabilere Kugelgelenkslösung setzten zudem die riesenhaften Sauropoden, die pflanzenfressenden Langhalssaurier der Trias und Kreidezeit.

Kein Alleinstellungsmerkmal der Säugetiere

Damit scheint klar, dass die gängige Ansicht der Bandscheiben als typischem Säugetiermerkmal auf einem Irrtum beruht. Stattdessen scheinen knorpelige Puffer zwischen den Wirbelknochen sogar die ursprünglichere Konstruktion zu sein. Aus den einfachen Vorformen entwickelten sich dann in einigen Reptiliengruppen echte Bandscheiben, die bei unseren Vorfahren erhalten bleiben. Bei anderen dagegen wurden sie durch Kugelgelenke ersetzt.

„Warum die Bandscheibe ersetzt wurde, lässt sich vielleicht dadurch begründen, dass sie anfälliger für Schäden ist als ein Kugelgelenk“, sagt Wintrich. Die Vorteile der großen Beweglichkeit haben aber dazu geführt, dass die Bandscheiben bei den Säugetieren trotz dieses Makels erhalten blieben. Weil zudem ein Großteil der Saurier am Ende der Kreidezeit ausstarb, blieben außer den Säugetieren keine Tiergruppen mit echten Bandscheiben übrig. (Scientific Reports, 2020; doi: 10.1038/s41598-020-70751-2)

Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

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