Unsichtbarer Treiber: Aus den Tiefen aufsteigendes Kohlendioxid könnte die schweren Erdbeben in Mittelitalien begünstigt haben. Denn parallel zu den Erdstößen der letzten zehn Jahre stieg jedes Mal die Ausgasung von unter Druck stehendem CO2 aus tiefen Reservoiren an, wie Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten. Die insgesamt bei den Beben freigesetzte Gasmenge übertrifft sogar die vieler Vulkanausbrüche.
Es ist kein Zufall, dass Mittelitalien so häufig von Erdbeben getroffen wird: Die gesamte Region liegt auf einem komplexen Netzwerk sich kreuzender Verwerfungen, die durch die Plattengrenze zwischen Europa und Afrika entstanden sind. Spannungen an diesen tektonischen Störungen verursachten unter anderem das schwere Erdbeben von L’Aquila im Jahr 2009 und die Erdbebenserie im Jahr 2016 in Amatrice und Norcia.
„Diese Erdbeben lösten schwere Schäden in einem großen Teil Mittelitaliens aus, verursachten mehr als 600 Tote, 2.000 Verletzte und erforderten die Evakuierung von rund 120.000 Menschen“, erklären Giovanni Chiodini vom Nationalinstitut für Geophysik und Vulkanologie in Bologna und seine Kollegen. Alle drei Bebenherde lagen in eher geringer Tiefe von acht bis zwölf Kilometern und wurden von tausenden Nachbeben begleitet.
Erste Langzeitmessung von CO2 in einem Erdbebengebiet
Um den Mechanismen dieser Beben auf den Grund zu gehen, haben Chiodini und sein Team einen speziellen Begleitaspekt dieser Erdbeben näher untersucht: die CO2-Ausgasung. Denn schon länger ist bekannt, dass Gas aus tieferliegenden Reservoiren und aufschmelzenden Krustengesteinen auch an Plattengrenzen und Verwerfungen durch tektonische Aktivität freigesetzt werden kann.
„Doch wie diese Ausgasungen zeitlich mit der Seismizität zusammenhängen, ist noch unklar, weil Langzeitmessungen in seismisch aktiven Gebieten bisher fehlten“, so die Forscher. Diese Daten liefert nun erstmals ihre Studie im Apennin. Seit dem L’Aquila-Beben von 2009 haben die Wissenschaftler dort 36 Grundwasserquellen regelmäßig beprobt und neben weiteren chemischen Parametern auch den Gehalt an gelöstem Kohlenstoff über Isotopenmessungen bestimmt.
So viel Gas wie bei einem Vulkanausbruch
Das Ergebnis: Insgesamt setzte allein das kohlenstoffgesättigte Wasser in diesen Quellen im Verlauf der zehnjährigen Messungen rund 1.800 Kilotonnen an CO2 frei. „Das ist die gleiche Größenordnung wie die Ausgasung bei vulkanischen Eruptionen“, so Chiodini und seine Kollegen. Ein Großteil des Gases stammte dabei wahrscheinlich aus einer Zone rund zehn bis 15 Kilometer unter der Oberfläche des L’Aquila-Beckens, wie seismische Messungen und Isotopenmessungen ergaben.
Gleichzeitig gab es einen deutlichen zeitlichen Zusammenhang mit den Beben: Immer dann, wenn die seismische Aktivität in dieser Region hoch war, stieg auch die Ausgasung von CO2. „Die höchsten Werte ereignen sich gleichzeitig mit den Hauptschockwellen der drei schweren Beben“, berichten die Forscher. Anschließend sanken die CO2-Emisionen parallel zum Nachlassen der Magnitude und Rate der Nachbeben. Dies sei das erste Mal, dass ein solcher zeitlicher Zusammenhang klar nachgewiesen wurde.
„Wie eine geschüttelte Limonadenflasche“
„Die Erdbeben im Apennin sind demnach klar mit dem Aufstieg von CO2 aus tiefen Reservoiren verknüpft“, konstatieren die Wissenschaftler. „Dieses CO2 stammt aus der Dekarbonisierung einer subduzierten Erdplatte, sammelt sich in der Tiefe und diffundiert dann in die darüberliegenden Aquifere – in manchen Fällen ist es so viel, dass es zur Sättigung des Wassers mit CO2″ kommt.“
Doch wie hängen Erdbeben und Ausgasung zusammen? Ein Teil der Freisetzung wird vermutlich von den Erdbeben ausgelöst – diese CO2-Ausgasung wäre demnach eine passive Begleiterscheinung: „Die Erschütterung verursacht den plötzlichen Aufstieg von Gasbläschen und auch die Gas-Abgabe des gelösten CO2 aus dem Wasser – ähnlich wie bei einer geschüttelten Limonadenflasche“, sagen Chiodini und seine Kollegen.
CO2-Ausgasung als Erdbebenauslöser?
Aber nach Ansicht der Forscher könnte das CO2 auch eine aktivere Rolle im Erdbebengeschehen spielen. Denn Messungen ergaben, dass der Flüssigkeitsdruck in der oberen Kruste während der seismische aktiven Phasen deutlich erhöht war – schon vor den Beben. „Wir schließen daraus, dass der Aufstieg großer Mengen an CO2 signifikant zur Erdbebenentstehung im Apennin beitragen kann“, so die Wissenschaftler.
Das bedeutet, dass zumindest einige der Beben in Mittelitalien auch auf die Freisetzung von Kohlendioxid aus der Tiefe zurückgehen könnten. Der Druck des aufsteigenden Gases führte dazu, dass die ohnehin unter Spannung stehenden Verwerfungen nachgaben und sich der Druck in einem Erdbeben entlud. Diese Erschütterungen verursachen dann wiederum eine weitere Gasfreisetzung und dies könnte die Nachbeben begünstigt haben. (Science Advances, 2020; doi: 10.1126/sciadv.abc2938)
Quelle: Science Advances, AAAS