Geowissen

Rügen: Warum die Kreidefelsen bröckeln

Durchfeuchtung ist die Haupttriebkraft der Kreide-Abbrüche

Kreidefelsen
Die Kreidefelsen von Jasmund auf Rügen sind weltberühmt – aber sie verlieren schleichend an Substanz. © Kristen Cook/ GFZ

Fragiles Wahrzeichen: Die Kreidefelsen auf Rügen brechen Stück für Stück ab. Warum, haben nun Forscher aufgeklärt. Demnach sind nicht Meer oder Wind schuld, sondern die Durchfeuchtung des Kliffs durch Regen und Luftfeuchtigkeit. Sie machen die ohnehin weiche Kreide instabil und lassen Rutschungen entstehen. Der Einfluss der Luftfeuchte erklärt auch, warum sich besonders viele Abbrüche nachts ereignen.

Überall dort, wo Steilhänge ans Meer grenzen, sind sie einer starken Erosion ausgesetzt. Meist ist es die erodierende Kraft der Wellen, die den Fuß solcher Klippen unterhöhlt und dadurch die Hänge nach und nach zum Einsturz bringen. Vor allem Winterstürme und Sturmfluten setzen solchen Küsten zu – auch an der deutschen Nord- und Ostsee. Aber auch starke Temperaturunterschiede und Frost können das Gestein zum Brechen bringen, Niederschläge wiederum spielen für Rutschungen weicherer Hänge eine große Rolle.

Kreideabbruch
Spuren eines Abbruchs an den Kreidefelsen im Dezember 2019. © Kristen Cook/ GFZ

Rügens Wahrzeichen unter Überwachung

Doch welcher dieser Mechanismen wirkt auf die berühmten Kreidefelsen von Rügen? Diese bis zu 118 Meter hohen, weißen Steilhänge erleben immer wieder kleinere und größere Abbrüche. Dadurch rückt die Klippenkante pro Jahr im Schnitt um 25 Zentimeter landeinwärts und jährlich sammeln sich rund 103.000 Kubikmeter Kreidebrocken und Geröll am Fuß der Klippen, wie Michael Dietze vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ und seine Kollegen erklären.

Um die Ursachen dafür herauszufinden, haben sie das Geschehen an den Kreideklippen von Jasmund zwei Jahre lang intensiv mitverfolgt. Über im Kreide-Steilhang eingebettete Seismometer erfassten sie Erschütterungen und Rutschungen, in regelmäßigen Drohnenflügen entlang der Kreideküste zeichneten sie alle Veränderungen und neuen Abbrüche auf. Der Abgleich der 81 in dieser Zeit registrierten Abbrüche mit Wetterdaten, Gezeiten und Wellen erlaubte dann Rückschlüsse auf die Auslöser dieser Ereignisse.

Wellen und Wind sind unschuldig

Das Ergebnis: Anders als an vielen anderen Steilküsten spielen Wellen und Gezeiten für die Kreidefelsen-Abbrüche offenbar kaum eine Rolle. So kommt das Meer kaum in direkten Kontakt zum Klippenfuß, weil ein vorgelagerter Streifen aus Kreidegeröll die Wellen bricht und das Wasser fernhält. „Zudem ereignen sich die meisten Abbrüche rund 29 Meter über dem Strand, ohne Anzeichen für Unterhöhlung an der Klippenbasis“, erklären Dietze und sein Team.

Auch abwechselnde Zyklen von Wärme und Kälte oder sogar Frost scheinen nicht die treibende Kraft der Abbrüche zu sein. Denn die Temperaturen im nach Norden gerichteten Steilhang schwanken nur wenig und auch eine direkte Sonneneinstrahlung kommt so gut wie nie vor. Die Messungen ergaben zudem keinerlei zeitlichen Zusammenhang zwischen Wetterumschwüngen und Temperaturschwankungen und den Rutschungen an den Kreidefelsen.

Wasser ist der Täter

Stattdessen erwies sich der Wassergehalt der Kreide als ausschlaggebender Faktor. „Die Rügener Kreide wandelt sich bei rund 22 Prozent Wassergehalt von einem festen in einen halbfesten Zustand und bei 29,8 Prozent Wassergehalt verflüssigt sich das Material“, erklären Dietze und seine Kollegen. „Mit einem durchschnittlichen Wassergehalt von rund 23 Prozent sind die Kreidefelsen demnach die meiste Zeit in einem metastabilen Zustand.“ Schon sehr wenig zusätzliche Feuchte kann dann das Gestein in Rutschen bringen.

Und genau dies passiert: Die Analysen ergaben, dass sich die meisten Abbrüche kurz nach ergiebigen Regenfällen ereigneten. „Zwischen 62 und 67 der 81 Abbrüche waren von der Niederschlagsrate abhängig“, berichten die Wissenschaftler. Zudem gab es im außergewöhnlich trockenen Sommer 2018 mit nur elf Abbrüchen deutlich weniger Ereignisse als beim überdurchschnittlich regenreichen Jahr 2017 mit 65 Rutschungen.

Luftfeuchte und Waldbestand wirken mit

Doch der Regen ist nicht der einzige Einflussfaktor: „Wasser wird dem Kliff nicht nur durch Regen zugeführt, sondern auch durch Grundwasserzufluss und Kondensationswasser aus der Luft, vor allem in den Nachtstunden“, sagt Dietze. Wenn sich die Luft am Abend abkühlt, kondensiert Luftfeuchtigkeit an der Kreide des Steilhangs und führt ihr so Wasser zu. „Daher kommt es bevorzugt nachts zu Abbrüchen“, so der Forscher.

Ein weiterer Faktor ist der dichte Buchenwald, der auf der Oberseite der Kreideschicht wächst. Er erklärt, warum die Klippen im Winter instabiler sind als im Sommer: „Buchen können pro Tag hunderte Liter Wasser aus dem Boden abziehen und verdunsten“, erklären die Wissenschaftler. Während ihrer Vegetationsperiode im Sommer puffern die Bäume damit die Regenfälle ab und verhindern, dass Wasser im Untergrund zu den Klippen strömt. Im Winter dagegen fehlt diese Pufferwirkung.

Droht in Zukunft eine Unterhöhlung der Klippen?

Was aber bedeuten diese Erkenntnisse für die Zukunft der berühmten Kreidefelsen? Prognosen zufolge könnte es durch den Klimawandel in Zukunft trockener werden – auch an der Ostseeküste. Das könnte bedeuten, dass die Abbrüche nachlassen. Zwar klingt dies erstmal wie eine gute Nachricht, doch wie die Forscher erklären, könnte dann den Klippen eine andere Gefahr drohen. Denn wenn die Rutschungen weniger werden, fehlt auch der Nachschub für den schützenden Geröllstreifen vor der Steilküste.

„Als Folge würde die erodierende Kraft der Wellen mehr und mehr feines Material vom Strand wegspülen, bis die zurzeit noch rund zwei Meter hohe Schwelle immer niedriger wird und Wellen schließlich direkt bis an den Fuß der Klippen gelangen können“, sagen Dietze und seine Kollegen. Dadurch wären die Kreidefelsen in Gefahr, vom Meer unterhöhlt zu werden – und dann erst recht abzubrechen. (. Journal of Geophysical Research: Earth Surface, 2020; doi: 10.1029/2019JF005487)

Quelle: Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

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