Botanik

Von fleischfressenden Pflanzen abgeschaut

Technische Vorbilder aus der Pflanzenwelt

Fleischfressende Pflanzen haben nicht nur faszinierende Strategien zum Beutefang entwickelt, ihre speziellen Fangmethoden könnten sogar für uns Menschen von praktischem Nutzen sein.

Die Klebefallen fleischfressender Pflanzen treiben zum Beispiel die Forschung an künstlichen Klebesystemen voran. Denn die Drüsenhaare mancher dieser Pflanzenarten produzieren Klebstoffe mit erstaunlich starker Klebekraft. Schätzungen zufolge ist sie vier Mal so stark wie beispielsweise die von handelsüblichen Fliegenfallen. Auch vom Aufbau pflanzlicher Fallen versprechen sich Wissenschaftler wertvolle Erkenntnisse.

Fallgruben und Gleitfallen

Kannen
Die Fallgruben ähneln äußerlich kleinen Kannen. © Attenboroghij/CC-by-sa 3.0

Besonders erfolgsversprechend ist die Jagd mit Fallgruben: Bei den Fallgrubenfallen – auch Gleitfallen genannt – bilden die Pflanzenblätter einen Hohlraum, in den die Beute hineinfällt. Ein Beispiel ist die in Regenwäldern beheimatete Kannenpflanze (Nepenthes): Sie lockt ihre Beute mit leuchtenden Farben und ihrem süßen Nektar an ihren Blatträndern an.

Um ein Tier zu fangen, müssen die Blätter nicht bewegt werden: Insekten landen nichtsahnend auf dem Rand des zu einer Kanne umgebildeten Blatts und rutschen auf seiner glatten, wachsbeschichteten Oberfläche ab. Ein Fluchtversuch aus der Kanne wird unmöglich. Diese Gleitzone hat eine Schlüsselrolle für eine erfolgreiche Jagd.

Denn: Die Wachsbedeckung besteht aus zwei übereinanderliegenden Schichten, die es Insekten unmöglich macht, an den Wänden haften zu bleiben. Die obere Wachsschicht enthält einzelne unregelmäßige 30-50 Nanometer dicken Plättchen, die sich mehr oder weniger senkrecht zur anderen Schicht und zur Oberfläche der Kannenwand anordnen. Ihre Orientierung ist eher zufällig. Die Wachsschicht besitzt eine geringe Härte und ist sehr geschmeidig.

Die untere Schicht hingegen ähnelt einem Schaumstoff. Sie besteht aus miteinander verbundenen Membranplättchen, die in spitzem Winkel aus der Oberfläche herausragen und keine klare Ausrichtung zeigen. Sie ist deutlich härter als die obere. Beide Schichten zusammen machen die Oberfläche der karnivoren Pflanze so glatt, dass sie für Beute zu einem unüberwindbaren Hindernis werden.

Aquaplaning für Insekten

Die Würzburger Biologen Holger Bohn und Walter Federle entdeckten neben der reinen Glattheit der Wachsschicht einen weiteren Fangmechanismus der Kannenpflanzen: Demzufolge trickst die Kannenpflanze ihre Opfer auch mit speziellen Strukturen der porösen unteren Schicht aus. Sie erzeugt einen Flüssigkeitsfilm, auf dem die Haftorgane der Insekten „Aquaplaning machen“. Im Gegensatz zu fast allen anderen Pflanzenoberflächen sind die Oberflächen dadurch ständig entweder mit Regenwasser oder mit dem Nektar benetzt. Für Insekten kommt das einer Rutschbahn gleich.

Ohne sich wehren zu können, landen die Insekten schließlich durch die Wachsschicht und das „Aquaplaning“ in einer Flüssigkeit im Blattinneren. Der Tod tritt durch Ertrinken ein. Neben Insekten haben sich auch schon kleinere Echsen, Vögel und Nagetiere in die Kannen verirrt.

Ein Vorbild für den Menschen

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Metallforschung und der Universität Hohenheim haben sich die Kannenpflanzen (Nepenthes) zum Vorbild genommen: Antihaft-Oberflächen funktionieren nämlich auf ähnliche Weise. Sie lassen Öl, Wasser und Blut abperlen, weil sie aus einer porösen, mit einer Flüssigkeit überzogenen Oberfläche bestehen. Und das Material ist nicht nur günstig und einfach herzustellen: Der Antihaft-Effekt funktioniert auch unter hohem Druck und bei Kälte. Zudem regeneriert sich der Gleitfilm auf dem Material sogar nach einem Einschnitt wieder.

Kannenpflanze
Auch wenn sie noch so unscheinbar scheint: Die Kannenpflanze inspiriert die Erforschung neuer Materialien. © Alfindra Primaldhi/CC-by-sa 3.0

Die Wirksamkeit bewährt sich auch in der Schifffahrt: Einer Gruppe von Forschern um Nicolas Vogel von der Universität Erlangen-Nürnberg gelang die Entwicklung einer Oberfläche zur Muschelbekämpfung an Schiffwänden. Die meisten Methoden gegen Muschelbefall töten zahlreiche Organismen durch giftige Chemikalien, müssen oft erneuert werden und sind nicht so wirksam wie gewünscht. Von der Kannenpflanze inspirierte Oberflächen könnten das Problem lösen, so die Wissenschaftler.

„Uns hat die fleischfressende Kannenpflanze inspiriert. Ist die Oberfläche der Pflanzen im trockenen Zustand nicht rutschig, bindet sie nach einem Regenguss Regenwasser – und wird so ausgesprochen rutschig“, erklärt Vogel. „Diesen Effekt haben wir auf synthetische Materialien übertragen.“ Ähnlich wie die „Aquaplaning-Schicht“ der Kannenpflanze hindert das neu entwickelte Material durch eine künstliche Gleitflüssigkeit die Muscheln daran, sich an den Schiffen festzukleben.

Weitreichender Einsatz

Solche neuartigen Oberflächenstrukturen könnten in Zukunft für zahlreiche Anwendungen eingesetzt werden, sagen auch Forscher um Joanna Aizenberg von der Harvard University in Boston. So beispielsweise als selbstreinigende Beschichtung für die Innenseiten von Benzin- oder Wasserleitungen, in medizinischen Kathetern oder Transfusionssystemen, aber auch als Schutzschicht gegen das Vereisen von Oberflächen.

Denkbar seien sogar selbstreinigende Fenster und optische Linsen, da Oberflächen nach dem Kannenpflanzen-Prinzip auch transparent hergestellt werden könnten. „Die Vielseitigkeit, Robustheit und einzigartige Fähigkeit zur Selbstheilung machen es möglich, solche Oberflächen nahezu überall einzusetzen“, sagt Aizenberg.

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Inhalt des Dossiers

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