Frühes Warnzeichen: Ob jemand eine genetische Veranlagung zu Alzheimer besitzt, lässt sich schon vor Ausbruch der Demenz erkennen – durch einen einfachen Navigationstest. Denn das Risikogen APOE-4 stört schon bei jungen Erwachsenen die Funktion der für die „mental map“ nötigen Gitterzellen im Gehirn, wie nun ein Experiment bestätigt. Tests dieser subtilen Defizite könnten dabei helfen, das Alzheimerrisiko früher zu erkennen, wie die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten.
Die Alzheimer-Demenz ist die häufigste neurodegenerative Erkrankung weltweit, allein in Deutschland sind rund eine Million Menschen betroffen. Die Ursachen sind in den meisten Fällen unbekannt, im Verdacht stehen Umweltfaktoren, Infektionen und auch die genetische Veranlagung. So ist bekannt, dass Träger einer bestimmten Variante des Gens für das Apolipoprotein E, dem APOE-4, ein rund doppelt so hohes Alzheimerrisiko besitzen.
Gitterzellen kartieren die eigene Position im Raum
Ob jemand Träger dieser Genvariante ist, könnte künftig schon früh und ohne Gentest festgestellt werden. Denn schon Jahrzehnte vor Ausbruch der Alzheimer-Krankheit verändert das APOE-4-Gen die Funktion eines wichtigen Teils der Großhirnrinde – dem entorhinalen Cortex. In ihm liegen sogenannte Gitterzellen, die für unsere räumliche Orientierung und die „mentalen Karten“ entscheidend sind.
„Wenn man nachts aufsteht und im Dunkeln den Weg ins Badezimmer finden will, benötigt man – neben dem Wissen über die Anordnung der eigenen Wohnung – einen Mechanismus, der die eigene Position im Raum nachverfolgt, ohne dass man äußere Hinweisreize dazu verwendet“, erklärt Anne Bierbrauer von der Ruhr-Universität Bochum. Diese sogenannte Pfadintegration übernehmen die Gitterzellen im entorhinalen Cortex.
Frühe Schäden durch das Alzheimer-Gen
Doch Studien zeigen, dass der entorhinale Cortex zu den ersten Hirnarealen gehört, die durch die Alzheimer-Demenz geschädigt werden. Deshalb gehören Defizite bei der räumlichen Orientierung und das sich Verirren zu den ersten Symptome der Demenz. Bei Trägern der APOE-4-Genvariante sind erste Schäden in diesem Hirnareal sogar schon in jungem Erwachsenenalter nachweisbar, wie Postmortem-Untersuchungen belegen.
Das weckt die Frage, ob sich diese Frühschäden bei den APOE-4-Trägern auch schon in der Orientierung bemerkbar machen. Bisher allerdings waren die Ergebnisse dazu widersprüchlich – wahrscheinlich, weil die Betroffenen die Schwächen in ihrer Pfadintegration unbewusst durch Landmarken und andere äußere Reize kompensieren.
Deshalb haben Bierbrauer und ihr Team nun eine virtuelle Navigationsaufgabe entwickelt, die diese Kompensation aufdeckt und verhindert. In dieser mussten 202 genetisch unbelastete Probanden und 65 Träger der APOE-4-Genvariante sich bestimmte Orte in einer virtuellen Landschaft merken und sie wiederfinden.
Defizite bei der Orientierung ohne Landmarken
Das Ergebnis: Die genetisch vorbelasteten Teilnehmer schnitten beim Navigieren schlechter ab als die übrigen Teilnehmer. Dies war vor allem dann der Fall, wenn Landmarken fehlten und die Probanden sich allein auf ihre „mental Map“ und die Pfadintegration verlassen mussten. „Das deutet darauf hin, dass diese Defizite eng mit dem System der Gitterzellen im entorhinalen Cortex zusammenhängen“, sage die Forscher.
Bestätigt wurde dies durch einen Versuchsdurchgang, bei dem die Wissenschaftler die Hirnaktivität ihrer Probanden mittels funktionaler Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) aufzeichneten. Bei den Teilnehmern, die Probleme bei der Orientierung hatten, spiegelte sich dies auch in der Aktivität der Gitterzellen im entorhinalen Vortex wieder. Bei ihnen war zudem zu erkennen, dass sie verstärkt andere an der Orientierung beteiligte Hirnareale zur Hilfe heranzogen.
Hilfe bei der Früherkennung?
Nach Ansicht von Bierbrauer und ihren Kollegen bestätigt dies, dass sich erste Defizite schon Jahrzehnte vor einer deutlichen Manifestation der Alzheimer-Demenz zeigen können – und dass diese vor allem bei genetisch vorbelasteten Menschen auftreten.
„In dieser Studie zeigen wir eine sehr spezifische Einschränkung von gesunden Menschen mit einem genetisch erhöhten Risiko für Alzheimer“, sagt Koautor Lukas Kunz von der Universität Freiburg. „Künftig könnte eine solche Verhaltensauffälligkeit vielleicht helfen, Alzheimer früher zu diagnostizieren, bevor gravierende Symptome auftreten.“ (Science Advances, 2020; doi: 10.1126/sciadv.aba1394)
Quelle: Ruhr-Universität Bochum